Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
die
Unauffindbarkeit behandelt. Wie Sie sicher wissen, sieht
Paragraph 143 vor...«
»Das interessiert mich nicht. Wann haben Sie diese
Mitteilung zugestellt?«
»Vor zehn Jahren.«
»Dann war Calogero Rizzitano vor zehn Jahren also
unauffindbar.«
»Danach auch! Denn von den fünfundvierzig
Eigentümern legten vierundvierzig wegen der Summe, die wir
ihnen geboten hatten, Beschwerde ein. Und kamen damit
durch.«
»Und der fünfundvierzigste, derjenige, der keine
Beschwerde eingelegt hat, war Calogero Rizzitano.«
»Richtig. Wir haben die Summe, die ihm zusteht,
zurückgelegt. Weil er für uns juristisch immer noch am Leben
ist. Niemand hat ihn für tot erklären lassen. Wenn er wieder
auftaucht, kriegt er das Geld.«
Wenn er wieder auftaucht, hatte der Geometra gesagt, aber
alles deutete darauf hin, daß Lillo Rizzitano gar keine Lust
hatte, wieder aufzutauchen. Oder daß er vermutlich gar nicht
mehr in der Lage war, wieder aufzutauchen. Preside Burgio
und auch er selbst hielten es inzwischen für durchaus möglich,
daß Lillo, den ein Militärlaster in der Nacht des neunten Juli
verletzt aufgenommen und wer weiß wohin gebracht hatte,
irgendwie durchgekommen war. Aber sie wußten ja nicht mal,
wie schwer er verletzt gewesen war! Er konnte auch während
der Fahrt oder im Krankenhaus gestorben sein, falls sie ihn
überhaupt in ein Krankenhaus gebracht hatten. Warum darauf
bestehen, einem Schemen Gestalt zu verleihen? Die beiden
Toten vom Crasticeddru waren im Augenblick ihrer
Entdeckung möglicherweise in einem besseren Zustand
gewesen, als es Lillo Rizzitano schon seit langer Zeit war. In
mehr als fünfzig Jahren kein Wort, keine Zeile. Nichts. Auch
nicht, als man sein Land beschlagnahmte und die Reste seines
kleinen Hauses niederriß, die doch ihm gehörten. Die
Mäandergänge des Labyrinths, in das Montalbano sich hatte
aufmachen wollen, stießen hier an eine Mauer; vielleicht
zeigte sich das Labyrinth ja auch barmherzig, indem es ihn am
Weitergehen hinderte und ihm vor der einzig logischen,
natürlichen Lösung Halt gebot.
Das Abendessen war leicht, aber alles war mit jener Raffinesse
zubereitet, die der Herr seinen Auserwählten nur sehr selten
gewährt. Montalbano bedankte sich nicht bei der Frau des
Questore, sondern sah sie nur an wie ein streunender Hund,
der gestreichelt wird. Dann zogen sich die beiden Männer ins
Arbeitszimmer zurück, um zu plaudern. Die Einladung des
Questore war ihm wie ein Rettungsring erschienen, der einem
Ertrinkenden zugeworfen wird – jemandem, der nicht im
aufgewühlten Meer, sondern in der platten Ruhe der
Langeweile untergeht.
Zunächst sprachen sie über Catania; sie waren sich einig,
daß die Mitteilung über die Nachforschungen im Fall Brancato
an die Questura in Catania als erstes dazu geführt hatte, daß
Brancato ausgeschaltet wurde.
»Wir sind löchrig wie ein Sieb«, beklagte sich der
Questore bitter, »wir können keinen Schritt tun, ohne daß
unsere Gegner es erfahren. Brancato ließ Ingrassia umbringen,
weil dieser sich querstellte, aber als die Drahtzieher erfuhren,
daß wir Brancato im Visier hatten, sorgten sie dafür, daß er
ausgeschaltet wurde, und damit war die Spur, die wir so
mühsam verfolgten, zweckmäßigerweise gleich mit beseitigt.«
Er sah finster drein, diese Geschichte mit den
Maulwürfen, die überall saßen, verbitterte ihn mehr als ein
Verrat durch ein Mitglied seiner Familie.
Nach einer langen Pause, während der Montalbano kein
Wort sagte, fragte der Questore: »Wie steht's mit Ihren
Nachforschungen im Mordfall vom Crasticeddru?«
Der Commissario merkte am Ton, daß sein Vorgesetzter
diese Nachforschungen nur als willkommene Abwechslung
betrachtete, als Zeitvertreib, der ihm gegönnt wurde, bevor er
sich wieder ernsthafteren Dingen zuwandte.
»Jetzt weiß ich sogar den Namen des Mannes«,
revanchierte er sich. Verblüfft fuhr der Questore auf und war
plötzlich hellwach.
»Sie sind großartig! Erzählen Sie.«
Montalbano erzählte alles, sogar die Posse mit De
Dominicis, die der Questore sehr vergnüglich fand. Der
Commissario schloß mit einer Art Konkurserklärung: Die
Nachforschungen hätten keinen Sinn mehr, sagte er, auch weil
niemand sicher sein konnte, daß Lillo Rizzitano nicht tot war.
Der Questore dachte darüber nach. »Aber wenn jemand
wirklich verschwinden will, dann verschwindet er«, sagte er
dann. »Schon oft sind Leute anscheinend im
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