Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
und dann rot.
»Hast du die gemacht?«
Montalbano überlegte rasch, denn wenn sie hörte, daß
eine Frau sie fotografiert hatte, ging Ingrid ihm
möglicherweise an die Gurgel.
»Ja, das war ich.«
Die schallende Ohrfeige, die ihm die Schwedin
verabreichte, dröhnte ihm im Kopf, aber er hatte sie erwartet.
»Ich habe deinem Schwiegervater schon drei Fotos
geschickt, da hat er es mit der Angst zu tun bekommen und
dich eine Zeitlang in Ruhe gelassen. Jetzt kriegt er noch mal
drei.«
Da stand Ingrid auch schon bei ihm, drückte ihren Körper
an Montalbanos Körper, preßte ihre Lippen auf seine Lippen,
liebkoste mit ihrer Zunge seine Zunge. Montalbano spürte, wie
seine Knie butterweich wurden, aber Ingrid ließ ihn, Gott sei
Dank, wieder los.
»Ganz ruhig«, sagte sie, »es ist schon vorbei. Ich wollte
dir nur danken.«
Ingrid suchte drei Fotos aus, und Montalbano schrieb auf
die Rückseite: LASS DIE FINGER VON IHR, ODER DU
ERSCHEINST DAS NÄCHSTE MAL IM FERNSEHEN.
»Die anderen behalte ich hier«, sagte der Commissario.
»Sag mir Bescheid, wenn du sie brauchst.«
»Hoffentlich noch lange nicht.«
»Morgen früh schicke ich sie ihm, und dazu kriegt er
einen anonymen Anruf, daß ihn der Schlag trifft. Jetzt hör gut
zu, ich muß dir eine lange Geschichte erzählen. Und danach
werde ich dich bitten, mir zu helfen.«
Um sieben Uhr stand er auf; er hatte kein Auge zugetan,
nachdem Ingrid gegangen war. Er warf einen Blick in den
Spiegel – abgespannt sah er aus, vielleicht sogar schlechter als
in den Tagen, nachdem sie auf ihn geschossen hatten.
Er mußte zu einer Nachuntersuchung ins Krankenhaus;
man war sehr zufrieden mit ihm, und er mußte von den fünf
Medikamenten, die er verschrieben bekommen hatte, nur noch
eines nehmen. Dann fuhr er zur Cassa di Risparmio nach
Montelusa, bei der er das wenige Geld eingezahlt hatte, das er
auf die hohe Kante legen konnte, und bat um eine private
Unterredung mit dem Direktor.
»Ich brauche zehn Millionen.«
»Haben Sie das Geld auf dem Konto, oder wollen Sie ein
Darlehen?«
»Ich habe es.«
»Wo liegt dann das Problem?«
»Das Problem ist, daß es um eine Polizeiaktion geht, die
ich selber finanzieren will, um keine staatlichen Gelder aufs
Spiel zu setzen. Wenn ich jetzt an den Schalter gehe und zehn
Millionen in Hunderttausendern verlange, dann klingt das ein
bißchen merkwürdig. Deswegen brauche ich Ihre Hilfe.«
Voller Verständnis und stolz, weil er an einer
Polizeiaktion teilhaben durfte, setzte der Direktor sofort alle
Hebel in Bewegung.
Direkt unter dem Schild, das kurz vor Montelusa die
Schnellstraße nach Palermo anzeigte, hielt Ingrid mit ihrem
Wagen neben dem Auto des Commissario. Montalbano gab ihr
den dicken Umschlag mit den zehn Millionen, den sie in eine
Stofftasche steckte.
»Ruf mich zu Hause an, sobald du alles erledigt hast. Und
laß dich ja nicht beklauen.«
Sie lächelte, warf ihm eine Kußhand zu und fuhr los.
In Vigàta versorgte er sich mit Zigaretten. Als er den
tabacchaio verließ, sah er ein großes grünes Plakat mit
schwarzer Schrift, das ganz frisch geklebt war. Es lud die
Bevölkerung zu einem großen Motocross-Rennen ein, das am
Sonntag ab fünfzehn Uhr auf der piana del crasticeddru
stattfinden sollte.
Auf einen solchen Zufall hätte er nie zu hoffen gewagt.
Ob das Labyrinth sich seiner wohl erbarmt und ihm einen
neuen Weg geöffnet hatte...?
Vierundzwanzig
Die piana del crasticeddru, die Crasticeddru-Ebene, die sich
von der Felsnase aus erstreckte, hielt sich nicht einmal im
Traum für eine Ebene: Senken, Kuppen, Schlammlöcher
gaben den idealen Ort für ein Geländerennen ab. Der Tag war
eindeutig ein Vorbote des Sommers, und die Leute warteten
nicht bis nachmittags, um auf die Piana zu gehen; sie kamen
schon vormittags mit Oma, Opa, Kind und Kegel und alle mit
dem Vorsatz, nicht nur das Rennen, sondern vor allem einen
Ausflug ins Grüne zu genießen.
Vormittags hatte Montalbano Nicolò Zito angerufen.
»Kommst du heute nachmittag mit zum Motocross-Rennen?«
»Ich? Wozu denn das? Wir schicken einen Sportreporter
und einen Kameramann hin.«
»Nein, ich meine, ob wir zusammen hingehen, du und
ich, zu unserem Vergnügen?«
Sie trafen um halb vier an der Piana ein, und dort war vom
Beginn des Rennens noch gar keine Rede, aber es herrschte
ein ohrenbetäubendes Getöse vor allem von den Motoren der
etwa fünfzig Motorräder, die getestet und aufgewärmt
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