Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
unberührt. Niemand würde ihn mehr erkennen, er
würde also nicht mehr singen. Er wußte genau, daß seine
Karriere zu Ende war, daß er sich etwas einfallen lassen
mußte, um zu überleben, aber er wußte nicht, was er sonst tun
sollte: Ohne Gegè konnte er nicht singen.
Schweißgebadet wachte er auf. Er hatte auf seine Weise
einen klassischen Freudschen Traum zusammengeträumt, den
vom leeren Platz. Was bedeutete er? Daß er vergebens auf
Lillo Rizzitano wartete und damit sein Leben ruinierte?
»Commissario? Hier ist Preside Burgio. Ich habe schon eine
ganze Weile nichts von Ihnen gehört. Gibt's irgendwas Neues
von unserem gemeinsamen Freund?«
»Nein.«
Montalbano war einsilbig und kurz angebunden, auch auf
die Gefahr hin, unhöflich zu erscheinen. Lange oder
überflüssige Telefongespräche mußte er abblocken, denn wenn
Rizzitano sich entschloß anzurufen und das Telefon besetzt
war, überlegte er es sich vielleicht anders.
»Ich glaube, wenn wir mit Lillo sprechen wollen, bleibt
uns nichts anderes übrig – verzeihen Sie mir diesen Quatsch –,
als eine spiritistische Sitzung zu veranstalten.«
Mit Adelina gab es einen fürchterlichen Krach. Die
Haushälterin war kurz zuvor in die Küche gegangen, wo er sie
schimpfen hörte. Dann erschien sie bei ihm im Schlafzimmer.
»Sie haben gestern weder zu Mittag noch zu Abend
gegessen!«
»Ich hatte keinen Appetit, Adeli.«
»Ich rackere mich hier ab und koche die feinsten Sachen,
und Sie verschmähen sie!«
»Ich verschmähe sie nicht, ich habe einfach nur keinen
Appetit.«
»Und das ganze Haus ist ein Saustall! Ich darf nicht
putzen und die Wäsche nicht waschen! Seit fünf Tagen haben
Sie dasselbe Hemd und dieselbe Unterhose an! Sie stinken!«
»Bitte entschuldige, Adelina, es ist bald vorbei.«
»Dann sagen Sie mir Bescheid, wenn es vorbei ist, dann
komm' ich wieder. Vorher setze ich keinen Fuß mehr in dieses
Haus. Wenn es Ihnen bessergeht, können Sie mich ja
anrufen.«
Er ging in die Veranda, setzte sich auf die Bank, stellte das
Telefon neben sich und sah aufs Meer hinaus. Er konnte nichts
anderes tun, lesen, denken, schreiben, nichts. Nur das Meer
anschauen. Er begriff, daß er dabei war, im bodenlosen
Brunnen einer Obsession zu versinken. Ein Film, den er
einmal gesehen hatte und dem vielleicht ein Roman von
Dürrenmatt als Vorlage gedient hatte, fiel ihm ein: Da wartete
ein Kommissar beharrlich auf einen Mörder, der an einer
bestimmten Stelle in den Bergen vorbeikommen mußte,
jedoch nie mehr vorbeikommen würde, aber das wußte der
Kommissar nicht, er wartete, wartete immer weiter, und
inzwischen vergingen die Tage, die Monate, die Jahre...
Gegen elf an diesem Vormittag klingelte das Telefon. Nach
dem Gespräch mit dem Preside am Morgen hatte niemand
mehr angerufen. Montalbano hob nicht ab, er war wie
gelähmt. Er wußte mit absoluter Sicherheit – den Grund dafür
konnte er sich nicht erklären –, wer am anderen Ende der
Leitung war. Dann gab er sich einen Ruck und nahm den
Hörer ab.
» Pronto ? Commissario Montalbano?«
Eine schöne, tiefe Stimme, wenn auch die eines alten
Mannes. »Ja, ich bin's«, antwortete der Commissario und fügte
– er konnte nicht anders – hinzu: »Endlich!«
»Endlich«, sagte auch der andere.
Sie schwiegen einen Augenblick und lauschten nur ihrem
Atem.
»Ich bin gerade in Punta Ràisi gelandet. Um dreizehn Uhr
dreißig könnte ich spätestens bei Ihnen sein. Wenn Ihnen das
paßt, erklären Sie mir bitte genau, wo ich Sie finde. Ich war
schon lang nicht mehr im Dorf. Seit einundfünfzig Jahren.«
Fünfundzwanzig
Er staubte ab, fegte, wischte im Zeitraffertempo eines
komischen Stummfilms. Dann ging er ins Bad und wusch sich,
wie er sich nur einmal in seinem Leben gewaschen hatte – vor
seinem ersten Rendezvous, als er sechzehn war. Er duschte
endlos, schnupperte unter den Achseln und an seinen Armen
und besprühte sich vorsichtshalber noch mit Kölnisch Wasser.
Er wußte, daß es lächerlich war, aber er wählte seinen besten
Anzug und die seriöseste Krawatte und bürstete seine Schuhe,
bis sie glänzten, als wären sie von innen beleuchtet. Dann
begann er den Tisch zu decken, aber nur mit einem Gedeck, er
hatte zwar jetzt einen Bärenhunger, wußte aber, daß er keinen
Bissen runterbringen würde.
Er wartete. Er wartete unendlich lang. Halb zwei war
vorbei, und er fühlte sich hundeelend, als würde er ohnmächtig
werden. Er goß
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