Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
und brachte ihm, wie
ihm am Abend zuvor befohlen, alle Tageszeitungen, die in
Vigàta zu bekommen waren. Während Montalbano weiter
Telefonanrufe beantwortete, blätterte er sie durch. In allen
spielte die Nachricht eine mehr oder weniger große Rolle. Am
meisten amüsierte ihn die Schlagzeile des »Corriere«. Da hieß
es: Kommissar identifiziert Hund aus Terracotta, der vor
fünfzig Jahren starb. Aus allem ließ sich etwas machen, auch
aus der Ironie.
Adelina wunderte sich, daß der Commissario zu Hause war,
was sonst nie vorkam.
»Adelina, ich werde ein paar Tage daheim bleiben, ich
erwarte nämlich einen wichtigen Anruf, und du mußt mir mein
Einsiedlerdasein bitte möglichst angenehm gestalten.«
»Ich versteh' nicht, was Sie da sagen.«
Montalbano erklärte ihr, daß es ihre Aufgabe sei, ihm
seinen freiwilligen Gefängnisaufenthalt mit einer Extraportion
an Phantasie bei der Zubereitung von Mittag- und Abendessen
zu erleichtern.
Gegen zehn rief Livia an.
»Was ist denn bei dir los? Das Telefon ist dauernd
besetzt!«
»Tut mir leid, ich kriege jede Menge Anrufe wegen einer
Sache, die...«
»Ich weiß, worum es geht. Ich habe dich im Fernsehen
gesehen. Du warst unbefangen und schlagfertig, ganz anders
als sonst. Anscheinend geht's dir besser, wenn ich nicht da
bin.«
Er rief Fazio im Büro an und bat ihn, ihm die Post nach Hause
zu bringen und eine Verlängerungsschnur für das Telefon zu
kaufen. Die Post, fügte er hinzu, müsse ihm täglich gebracht
werden, sobald sie angekommen sei. Und das solle er den
anderen sagen: Wenn jemand nach ihm frage, müsse dieser
Person in der Vermittlung ohne langes Getue seine
Privatnummer gegeben werden. Es verging keine Stunde, da
kam Fazio auch schon mit zwei bedeutungslosen Postkarten
und der Verlängerungsschnur.
»Was reden sie im Büro?«
»Was sollen sie schon reden? Nichts. Sie ziehen halt wie
ein Magnet die großen Geschichten an, und Dutturi Augello
zieht den ganzen Kleinkram an, geklaute Handtaschen, kleine
Diebstähle, ab und zu eine Schlägerei.«
»Wie meinst du das, daß ich die großen Geschichten
anziehe?«
»So wie ich es gesagt habe. Meine Frau zum Beispiel
fürchtet sich vor Mäusen. Und trotzdem, das müssen Sie mir
glauben, lockt sie sie an. Wo sie auch hingeht, es sind immer
Mäuse da.«
Seit achtundvierzig Stunden lag er wie ein Hund an der
Kette, sein Aktionsradius war gerade so groß, wie es die
Verlängerungsschnur erlaubte, er konnte also weder an den
Strand runter noch joggen gehen. Das Telefon trug er immer
mit sich herum, sogar wenn er aufs Klo ging, und manchmal –
was ihm nach den ersten vierundzwanzig Stunden zur Manie
wurde – nahm er den Hörer ab und hielt ihn ans Ohr, um zu
kontrollieren, ob das Telefon auch funktionierte. Am Morgen
des dritten Tages dachte er: Warum wäschst du dich
eigentlich, wenn du doch nicht raus kannst?
Der nächste Gedanke, der eng mit dem ersten
zusammenhing, lautete: Wozu rasierst du dich dann
überhaupt? Adelina erschrak, als sie ihn am Morgen des
vierten Tages sah – dreckig, unrasiert, in Hausschlappen und
immer noch demselben Hemd.
»Maria santissima, dutturi, was ist los mit Ihnen? Sind
Sie krank?«
»Ja.«
»Warum rufen Sie denn nicht den Arzt?«
»Meine Krankheit ist nichts für einen Arzt.«
Er war ein berühmter Tenor, der in der ganzen Welt
gefeiert wurde. Heute abend mußte er in der Oper von Kairo
singen, in der alten, die noch nicht in Flammen aufgegangen
war; er wußte genau, daß die Flammen auch sie bald
verschlingen würden. Er hatte einen Bediensteten gebeten, ihm
sofort Bescheid zu sagen, wenn Signor Gegè seinen Platz
eingenommen hätte, den fünften von rechts in der zweiten
Reihe. Er war im Kostüm, an seine Maske war gerade noch
mal letzte Hand gelegt worden. Er hörte den Ruf »nächste
Szene!«. Er rührte sich nicht, atemlos kam der Bedienstete
angelaufen und teilte ihm mit, daß Signor Gegè – der nicht tot,
das wußte man, sondern nach Kairo geflüchtet war – noch
nicht erschienen sei. Er stürzte auf die Bühne und warf durch
einen schmalen Schlitz im Vorhang einen Blick in den Saal:
Das Theater war vollbesetzt, nur der fünfte Platz von rechts in
der zweiten Reihe war leer. Da faßte er spontan einen
Entschluß. Er kehrte in seine Garderobe zurück, zog das
Kostüm aus und seine Kleider wieder an; die Schminke, den
langen grauen Bart und die buschigen weißen Augenbrauen
ließ er
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