Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
sieben Uhr abends
kam ich zurück und traf Lisetta allein an, Mario war auf die
Pacinotti zurückgekehrt. Wir aßen zu Abend und stellten uns
dann ans Fenster, um das Feuerwerk – es sah wirklich so aus –
eines Luftangriffs auf Vigàta anzuschauen. Lisetta ging zu
Bett, oben, in meinem Schlafzimmer. Ich blieb unten und las
im Schein einer Petroleumlampe. Da...«
Rizzitano hielt erschöpft inne und seufzte tief.
»Möchten Sie ein Glas Wasser?« Der alte Mann schien
die Worte nicht gehört zu haben.
»... da hörte ich, wie in der Ferne jemand schrie.
Eigentlich klang es wie der Klagelaut eines Tieres, wie ein
heulender Hund. Aber es war Zio Stefano, der seine Tochter
rief. Mich überlief eine Gänsehaut, als ich diese Stimme hörte,
weil es die gequälte und quälende Stimme eines grausam
verlassenen Liebenden war, der wie ein Tier litt und seinen
Schmerz hinausschrie, es war nicht die Stimme eines Vaters,
der seine Tochter suchte. Ich war erschüttert. Ich öffnete die
Tür, es herrschte tiefste Dunkelheit. Ich schrie, daß ich allein
im Haus sei und warum er seine Tochter ausgerechnet bei mir
suche? Plötzlich stand er vor mir, wie aus dem Boden
gewachsen, und stürzte ins Haus, er war irre geworden,
zitterte, beschimpfte mich und Lisetta. Ich versuchte ihn zu
beruhigen und ging auf ihn zu. Da schlug er mir mit der Faust
ins Gesicht, und ich fiel benommen nach hinten. Ich sah, daß
er jetzt einen Revolver in der Hand hatte, er sagte, er werde
mich umbringen. Da machte ich einen Fehler, ich hielt ihm
vor, er wolle seine Tochter doch nur, um sie wieder
vergewaltigen zu können. Er schoß auf mich, traf aber nicht, er
war zu aufgewühlt. Er zielte besser, aber da knallte noch ein
Schuß. Im Schlafzimmer hatte ich neben dem Bett ein
geladenes Jagdgewehr stehen. Lisetta hatte es genommen und
vom Treppenabsatz aus auf ihren Vater geschossen. Der Schuß
hatte Zio Stefano an der Schulter getroffen, er schwankte, und
die Waffe fiel ihm aus der Hand. Lisetta forderte ihn kaltblütig
auf zu verschwinden, sonst würde sie ihn töten. Ich war
überzeugt, daß sie damit nicht zögern würde. Zio Stefano sah
seiner Tochter lange in die Augen, dann winselte er mit
geschlossenem Mund, und ich glaube, nicht nur wegen seiner
Verletzung, drehte sich um und ging hinaus. Ich verrammelte
Türen und Fenster. Ich war völlig verängstigt, Lisetta war
diejenige, die mir wieder Mut machte und Kraft gab. Auch am
nächsten Morgen ließen wir alles verbarrikadiert. Gegen drei
kam Mario, wir erzählten ihm, was mit Zio Stefano passiert
war, da beschloß er, die Nacht bei uns zu verbringen, er wollte
uns nicht allein lassen, Lisettas Vater würde bestimmt
wiederkommen. Gegen Mitternacht gab es einen schrecklichen
Bombenangriff auf Vigàta, aber Lisetta war ganz ruhig, weil
sie ihren Mario bei sich hatte. Am Morgen des neunten Juli
ging ich nach Vigàta, um nachzusehen, ob unser Haus im Dorf
noch stand. Ich beschwor Mario, niemandem zu öffnen und
das Gewehr griffbereit zu halten.«
Er verstummte. »Meine Kehle ist trocken.«
Montalbano lief in die Küche und kam mit einem Glas
und einer Karaffe frischem Wasser zurück. Mit beiden Händen
nahm der Alte das Glas, er zitterte stark. Der Commissario
empfand tiefes Mitleid mit ihm.
»Wenn Sie eine Pause machen wollen, dann reden wir
nachher weiter.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt aufhöre,
geht es nachher nicht mehr weiter. Ich blieb bis zum späten
Nachmittag in Vigàta. Das Haus war nicht zerstört, aber es sah
schrecklich aus, Türen und Fenster waren aufgrund der
Druckwellen herausgerissen, Möbel umgestürzt, Scheiben
zerbrochen. Ich räumte auf, so gut es ging, und arbeitete bis
abends. In der Einfahrt fand ich mein Fahrrad nicht mehr, es
war gestohlen. Zu Fuß machte ich mich auf zum Crasto, eine
Wegstunde. Ich mußte ganz am Rand der Provinciale laufen,
weil in beiden Richtungen unzählige Militärfahrzeuge
unterwegs waren, italienische und deutsche. Als ich an dem
Weg ankam, der zum Haus führte, tauchten sechs
amerikanische Jagdbomber auf, die das Feuer eröffneten und
Splitterbomben abwarfen. Sie flogen sehr tief und machten
einen furchtbaren Lärm. Ich warf mich in einen Graben, da
traf mich fast im selben Augenblick mit großer Wucht ein
Gegenstand am Rücken. Ich hielt ihn zuerst für einen großen
Stein, der von einer explodierenden Bombe weggeschleudert
worden war. Aber es war ein
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