Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
von welcher Seite aus man die Abhänge des Hügels auch betrachtete. Man sah nur die gewundene Steigung der breiten, etwa drei Kilometer langen Asphaltstraße, die Don Balduccio, wie er sagte, a spisi so' , auf eigene Kosten, hatte anlegen lassen. Andere Häuser gab es nicht deshalb nicht, weil die Sinagras den ganzen Hügel aufgekauft hätten, sondern aus einem anderen, subtileren Grund. Zwar war der Grund und Boden von Ciuccàfa im neuen Bebauungsplan schon lange als Bauland ausgewiesen, doch die Eigentümer, Avvocato Sidoti und Marchese Lauricella, obschon beide knapp bei Kasse, trauten sich nicht, ihn zu parzellieren und zu verkaufen, um Don Balduccio nicht ein schweres Unrecht zuzufügen; der hatte sie zu sich bestellt und ihnen mittels Metaphern, Sprichwörtern, Anekdoten zu verstehen gegeben, welch unerträgliche Störung die Gegenwart von Fremden für ihn bedeuten würde. Um gefährlichen Missverständnissen vorzubeugen, hatte Avvocato Sidoti, Eigentümer des Grundes, auf dem die Straße gebaut worden war, es strikt abgelehnt, sich für die ungewollte Enteignung entschädigen zu lassen. In der Stadt munkelte man sogar boshaft, die beiden Eigentümer seien übereingekommen, sich den Schaden zu teilen: Der Avvocato hatte den Grund und Boden verloren, der Marchese hatte Don Balduccio mit der Straße ein hübsches Präsent gemacht, indem er die Kosten für ihren Bau übernahm. Die bösen Zungen sagten auch, dass, wenn bei schlechtem Wetter die Straße schadhaft geworden war oder ihre Ränder abbrachen, Don Balduccio dies dem Marchese klagte, der im Handumdrehen und immer aus eigener Tasche dafür sorgte, dass die Straße wieder glatt wie ein Billardtisch wurde.
Seit etwa drei Jahren liefen die Dinge nicht mehr so wie früher, weder für die Sinagras noch für die Cuffaros, die beiden Familien, die sich um die Kontrolle der Provinz stritten.
Masino Sinagra, der erstgeborene sechzigjährige Sohn von Don Balduccio, war endlich verhaftet worden und mit einer solchen Last an Anklagen hinter Schloss und Riegel gekommen, dass der Gesetzgeber, auch wenn Rom während des Ermittlungsverfahrens die lebenslängliche Gefängnisstrafe zufällig abgeschafft hätte, für ihn eine Ausnahme hätte machen und sie nur für diesen Fall hätte wieder einführen müssen. Japichinu, der Sohn von Masino und innigst geliebter Enkel seines Großvaters Don Balduccio, ein junger Mann um die dreißig und von der Natur mit einem so sympathischen und ehrlichen Gesicht ausgestattet, dass ihm jeder Rentner seine Ersparnisse anvertrauen würde, war, verfolgt von einem Haufen Haftbefehlen, gezwungenermaßen untergetaucht. Entnervt und beunruhigt wegen dieser noch nie da gewesenen Offensive der Justiz nach Jahrzehnten apathischer Ruhe, war Don Balduccio, der sich bei der Nachricht von der Ermordung der beiden mutigsten Staatsanwälte der Insel um dreißig Jahre jünger gefühlt hatte, unversehens wieder in seine Altersgebrechen zurückgefallen, als ihm zu Ohren kam, dass die Leitung der Staatsanwaltschaft einer übernommen hatte, wie es keinen Schlimmeren geben konnte: Piemontese und im Ruch des Kommunismus. Eines Tages hatte Don Balduccio in den Nachrichten gesehen, wie dieser Staatsanwalt in der Kirche kniete. »Was macht der denn, geht der in die Messe?«, hatte er verblüfft gefragt.
»Ja ja, der ist gläubig«, hatte ihm jemand erklärt. » Ma comu? Wie bitte? Da hätten die Pfaffen doch was Ordentliches aus ihm machen können!« Der jüngere Sohn von Don Balduccio, 'Ngilino, war verrückt geworden und redete eine unverständliche Sprache, von der er behauptete, es sei Arabisch. Als Araber kleidete er sich seither auch und wurde in der Stadt »der Scheich« genannt. Die beiden Söhne des Scheichs hielten sich mehr im Ausland als in Vigàta auf: Pino, genannt »der Klavierstimmer« wegen seines diplomatischen Geschicks, das er in schwierigen Augenblicken an den Tag zu legen wusste, war ständig zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten unterwegs; Caluzzo hielt sich acht Monate im Jahr in Bogota auf. Die Führung der Familiengeschäfte lastete daher wieder auf den Schultern des Patriarchen, der sich dabei von seinem Cousin Saro Magistro helfen ließ. Von ihm munkelte man, er habe, nachdem er einen Cuffaro ermordet hatte, dessen Leber am Spieß gegessen.
Überhaupt konnte man nicht gerade sagen, den Cuffaros ginge es besser. Eines Sonntagmorgens zwei Jahre zuvor hatte sich das über achtzigjährige Familienoberhaupt der Cuffaros, Don Sisino,
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