Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
das Hausmädchen kommen ließ, zitierte der zweite wahrscheinlich den Dienst habenden Killer her. Und der dritte?
Der löste am Ende einen Generalalarm aus, der womöglich so etwas wie einen dritten Weltkrieg verursachte. »Darf ich Sie was fragen?«, sagte der Alte und zupfte das Plaid auf seinen Beinen zurecht. »Wenn ich Ihnen, als Sie eben in die Loggia kamen, die Hand gegeben hätte, hätten Sie sie dann genommen?«
Was für eine schöne Frage, du verfluchter Hund!, dachte Montalbano. Und sofort entschied er, ihm so zu antworten, wie er aufrichtig fühlte. »Nein.«
»Erklären Sie mir, warum nicht?«
»Weil wir beide uns jeweils auf der anderen Seite der Barrikade befinden, Signor Sinagra. Und noch, aber das dauert vielleicht nicht mehr lange, ist der Waffenstillstand nicht ausgerufen.«
Der Alte räusperte sich. Dann räusperte er sich noch mal. Erst da begriff der Commissario, dass er lachte. »Es dauert nicht mehr lange?«
»Es gibt schon Anzeichen dafür.«
»Wir wollen es hoffen. Doch nun zu ernsten Dingen. Sie, Dottore, sind bestimmt neugierig, zu erfahren, warum ich Sie sehen wollte.«
»Nein.«
»Können Sie nur >nein< sagen?«
»Ich muss Ihnen ganz offen sagen, Signor Sinagra, dass ich das, was mich als Polizist an Ihnen interessieren könnte, bereits weiß. Ich habe alle Unterlagen gelesen, die Sie betreffen, auch diejenigen, die Sie betrafen, als ich noch gar nicht geboren war. Doch als Mensch interessiert mich das nicht.«
»Erklären Sie mir dann, warum Sie gekommen sind?«
»Weil ich mich nicht für so bedeutend halte, dass ich jemandem, der mich sprechen will, diese Bitte abschlagen würde.«
»Recht so«, meinte der Alte.
»Signor Sinagra, wenn Sie mir etwas sagen wollen, gut. Ansonsten -«
Don Balduccio schien zu zögern. Er bog seinen Schildkrötenhals noch weiter zu Montalbano hin, strengte seine vom Star verwässerten Augen an und musterte ihn eindringlich.
»Als ich jung war, waren meine Augen erschreckend gut. Jetzt sehe ich immer mehr Nebel, Dottore. Neglia ca si fa sempri cchiù fitta, Nebel, der immer dichter wird. Und ich rede nicht nur von meinen kranken Augen.« Er seufzte und lehnte sich zurück, als wollte er im Sofa versinken.
»Ein Mensch sollte so lange leben, wie es richtig ist. Neunzig Jahre sind viel, zu viel. Und es werden wer weiß wie viele, wenn einer gezwungen ist, die Dinge wieder in die Hand zu nehmen, nachdem er schon geglaubt hat, er sei sie losgeworden. Und die Geschichte mit Japichinu hat mich aufgerieben, Dottore. Ich kann vor Sorgen nicht schlafen. Und schwach auf der Brust ist er auch. Ich hab zu ihm gesagt: Stell dich den carrabbinera, dann wirst du wenigstens ärztlich behandelt. Aber Japichinu ist jung, ein Dickschädel wie alle jungen Leute. Jedenfalls musste ich mich wieder um die Familienangelegenheiten kümmern. Ed è difficili, difficili assà. Und das ist schwierig, sehr schwierig. Denn inzwischen ist die Zeit vergangen, und die Menschen haben sich verändert. Man versteht nicht mehr, was sie denken, man versteht nicht, was ihnen durch den Kopf geht. Früher sprach man zum Beispiel vernünftig über eine bestimmte komplizierte Sache. Auch lange, auch tagelang, auch bis hin zu bösen Worten, zum Streit, aber man hat vernünftig darüber gesprochen. Jetzt wollen die Leute nicht mehr reden, sie wollen keine Zeit verlieren.«
»Und was machen sie dann?«
»Sie schießen, dottore mio, sie schießen. Und schießen können wir alle gut, auch der größte Trottel der ganzen Schar. Wenn Sie jetzt zufällig Ihren Revolver zücken, den Sie bei sich tragen -«
»Ich habe keinen dabei, ich laufe nicht bewaffnet durch die Gegend.«
»Wie bitte?!«
Don Balduccio war aufrichtig bestürzt. »Dottore mio, das ist aber leichtsinnig! Es laufen so viele Verbrecher herum …«
»Ich weiß. Aber ich mag keine Waffen.«
»Ich mochte sie auch nicht. Zurück zu unserem Gespräch. Wenn Sie den Revolver auf mich richten und sagen: >Balduccio, auf die Knie<, dann ist da nichts zu wollen. Da ich unbewaffnet bin, muss ich mich hinknien. Logisch, oder? Aber das heißt nicht, dass Sie ein Ehrenmann sind, es heißt nur, dass Sie, mi pirdonasse, verzeihen Sie, ein Arsch mit einem Revolver in der Hand sind.«
»Wie handelt denn ein Ehrenmann?«
»Nicht wie er handelt, Dottore, sondern wie er handelte. Sie kommen unbewaffnet zu mir und reden mit mir. Sie legen mir das Problem dar, Sie erklären mir, was dafür und was dagegen spricht, und wenn ich zuerst nicht
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