Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
eine Rose.« Cavaliere Morasco war von Gertrude Steins gelehrtem Zitat nicht beeindruckt.
»Wie ich sehe, sind wir einer Meinung«, sagte er. »Inwiefern, entschuldigen Sie?«
»Insofern als verba volant und scripta manent .«
»Würden Sie das genauer erklären?«
»Natürlich. Staatsanwalt Tommaseo hat mich angerufen und gesagt, Sie seien ermächtigt, Einsicht in das Sparbuch des verstorbenen Signor Griffo Alfonso zu nehmen. Einverstanden, ich betrachte das, wie soll ich sagen, als Vorankündigung. Doch solange ich keine schriftliche Anfrage oder Ermächtigung erhalten habe, kann ich Ihnen den Zugang zum Postgeheimnis nicht gestatten.«
Dieses Gerede brachte den Commissario derart in Rage, dass er um ein Haar vom Boden abhob. »Ich komme später noch mal.«
Er wollte aufstehen. Der Direttore hielt ihn mit einer Geste zurück. »Warten Sie. Es gäbe eine Lösung. Könnte ich Ihren Ausweis haben?«
Die Gefahr des Abhebens wurde groß. Montalbano klammerte sich mit einer Hand an seinem Stuhl fest und reichte dem Direttore mit der anderen den Ausweis. Der Savoyen-Bastard prüfte ihn lange. »Nach dem Anruf des Staatsanwalts dachte ich mir, dass Sie baldigst kommen würden. Und habe eine Erklärung vorbereitet, die Sie unterschreiben werden und in der steht, dass Sie mich aus jeglicher Verantwortung entlassen.«
»Ich würde Sie gern entlassen«, sagte der Commissario. Er unterschrieb die Erklärung, ohne sie zu lesen, und steckte den Ausweis wieder ein. Cavaliere Morasco erhob sich.
»Warten Sie hier. Das dauert etwa zehn Minuten.« Bevor er hinausging, wandte er sich um und wies auf das Foto des Staatspräsidenten. »Haben Sie gesehen?«
»Ja«, sagte Montalbano erstaunt. »Das ist Ciampi.«
»Ich meine nicht den Präsidenten, sondern das, was darüber geschrieben steht. Rauchen verboten. Ich warne Sie, nutzen Sie meine Abwesenheit nicht aus.« Kaum war die Tür hinter Cavaliere Morasco zu, überfielen den Commissario heftige Rauchgelüste. Aber es war verboten, und zu Recht, denn man weiß ja, dass Passivrauchen Millionen von Todesopfern fordert, während Smog, Dioxin und Benzinblei das nicht tun. Er stand auf, ging hinaus, lief ins Erdgeschoss, sah dort drei rauchende Angestellte, stellte sich auf den Bürgersteig, rauchte zwei Zigaretten hintereinander, ging wieder hinein, jetzt waren es vier rauchende Angestellte, stieg die Treppe hinauf, ging den einsamen Korridor entlang, öffnete, ohne zu klopfen, die Tür des Büros des Direttore, trat ein. Cavaliere Morasco saß auf seinem Platz, blickte ihn missbilligend an und schüttelte den Kopf. Montalbano ging zu seinem Stuhl und sah dabei so schuldbewusst aus wie früher, wenn er zu spät in die Schule kam.
»Wir haben die Aufstellung«, verkündete der Direttore feierlich.
»Könnte ich sie sehen?«
Bevor er sie ihm gab, kontrollierte der Cavaliere, ob die Befreiung, die der Commissario unterschrieben hatte, noch auf dem Schreibtisch lag.
Selbiger Commissario begriff überhaupt nichts, auch weil ihm die Summe, die er am Ende las, unverhältnismäßig hoch erschien.
»Können Sie mir das erklären?«, fragte er in dem Tonfall von früher, als er in die Schule ging.
Der Direttore beugte sich vor, er legte sich praktisch auf den Schreibtisch, und riss ihm ungehalten das Blatt aus den Händen.
»Das ist doch alles sonnenklar!«, sagte er. »Wie man der Aufstellung entnehmen kann, belief sich die Rente des Ehepaares Griffo auf eine Gesamtsumme von monatlich drei Millionen, und zwar untergliedert in eine Million achthunderttausend für ihn und eine Million zweihunderttausend für sie. Signor Griffo hob seine Rente für den Monatsbedarf ab und ließ die Rente seiner Frau als Einlage darauf. Das war das übliche Prozedere. Mit seltenen Ausnahmen natürlich.«
»Aber auch wenn man davon ausgeht, dass sie so geizig und sparsam waren«, überlegte der Commissario laut, »stimmt die Rechnung nicht. Ich meine gesehen zu haben, dass fast hundert Millionen auf diesem Sparbuch sind!«
»Sie haben richtig gesehen. Um genau zu sein, achtundneunzig Millionen dreihunderttausend Lire. Aber daran ist nichts ungewöhnlich.«
»Nein?«
»Nein, denn Signor Griffo hat seit zwei Jahren pünktlich an jedem Monatsersten immer die gleiche Summe eingezahlt: zwei Millionen. Das macht insgesamt achtundvierzig Millionen, die zu den Ersparnissen hinzuzurechnen sind.«
»Und wo hatte er diese zwei Millionen im Monat her?«
»Das dürfen Sie nicht mich fragen«, sagte der
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