Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
war, leise zu mir: »Wenn wir mal nicht mehr sind, wirst du eine schöne Überraschung haben.« Aber Mamma, die Ärmste, hat manchmal ein bisschen gesponnen. Sie kam nicht mehr darauf zurück. Und ich hatte es vollkommen vergessen.«
In der Questura von Montelusa angekommen, ließ der Commissario in der Telefonzentrale Cicco De Cicco anrufen. Er hatte keinerlei Lust, Vanni Arquà zu begegnen, dem Chef der Spurensicherung und Nachfolger von Jacomuzzi. Sie waren sich gegenseitig unsympathisch. De Cicco kam sofort, er ließ sich das Foto geben.
»Ich habe Schlimmeres befürchtet«, sagte er, als er es betrachtete. »Catarella hat mir erzählt, dass es mit dem Computer versucht wurde, aber -«
»Meinst du, du kannst dieses Kennzeichen feststellen?«
»Ich glaube schon, Dottore. Ich rufe Sie auf jeden Fall heute Abend an.«
»Wenn ich nicht da bin, hinterlass Catarella eine Nachricht. Aber sieh zu, dass er die Zahlen und Buchstaben richtig schreibt, sonst kommt am Ende ein Kennzeichen aus Minnesota dabei heraus.«
Auf dem Rückweg fühlte er sich fast gezwungen, eine Rast in den Ästen des ulivo saraceno einzulegen. Er brauchte Bedenkzeit: wirkliche Bedenkzeit, nicht das, was die Politiker so nennen und was in Wahrheit ein Absturz ins tiefe Koma ist. Er setzte sich rittlings auf seinen gewohnten Ast, lehnte sich an den Stamm, steckte sich eine Zigarette an. Aber er merkte sofort, dass er unbequem saß, er spürte an den Innenseiten der Schenkel den unangenehmen Druck von Knoten und Zacken. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl, als wollte der Olivenbaum ihn nicht dort sitzen haben, als wollte er dafür sorgen, dass Montalbano seine Position änderte.
»So ein Quatsch!«
Er hielt noch eine Weile durch, dann schaffte er es nicht mehr und stieg von dem Ast herunter. Er ging ans Auto, holte eine Zeitung heraus, kehrte zu dem Olivenbaum zurück, breitete die Seiten der Zeitung aus und legte sich darauf, nachdem er seine Jacke ausgezogen hatte. Von unten betrachtet, aus diesem neuen Blickwinkel, kam ihm der Olivenbaum größer und verworrener vor. Er sah das Astwerk in seiner Gesamtheit, wie er es vorher, als er im Baum saß, nicht hatte sehen können. Ein Satz kam ihm in den Sinn. »Da ist ein großer sarazenischer Ölbaum …: Mit dem habe ich alles gelöst.« Wer hatte das gesagt? Und was hatte der Baum gelöst? Dann wurde seine Erinnerung klar. Diese Worte hatte Pirandello zu seinem Sohn gesagt, wenige Stunden vor seinem Tod. Und sie bezogen sich auf Die Riesen vom Berge, das unvollendet gebliebene Werk.
Eine halbe Stunde lang lag er auf dem Rücken, ohne jemals den Blick von dem Baum zu wenden. Und je länger er ihn betrachtete, umso mehr öffnete sich ihm der Olivenbaum, er erzählte ihm, wie das Spiel der Zeit ihn verdreht und aufgebrochen hatte, wie Wasser und Wind ihn Jahr um Jahr in diese Form hineingezwungen hatten, die nicht Laune oder Zufall, sondern die Folge von Notwendigkeiten war.
Sein Blick blieb an drei dicken Ästen haften, die für ein kurzes Stück fast parallel verliefen, bevor sich jeder seiner eigenen Fantasie plötzlicher Zickzacks, Kehrtwendungen, seitlicher Vorschübe, Kurven, Arabesken überließ. Einer der drei, der mittlere, entsprang ein wenig unterhalb der beiden anderen, aber er klammerte sich mit seinen krummen Zweigen an den beiden darüber liegenden Ästen fest, als wolle er sie auf der ganzen Strecke, die sie gemeinsam hatten, an sich binden.
Als Montalbano seinen Kopf verlagerte und jetzt aufmerksamer hinsah, stellte er fest, dass die drei Äste, obgleich sie ganz nah beieinander lagen, nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern an ein und derselben Stelle ihren Ausgang nahmen, an einer Art runzeliger dicker Beule, die sich aus dem Stamm hervorwölbte.
Wahrscheinlich war es ein leichter Windstoß, der die Blätter verschob. Ein plötzlicher Sonnenstrahl traf den Commissario in die Augen und blendete ihn. Montalbano hielt die Augen geschlossen und grinste.
Was auch immer De Cicco ihm am Abend mitteilen würde, jetzt war er sicher, dass am Steuer des Wagens, der dem Bus folgte, Nenè Sanfilippo gesessen hatte.
Sie hatten hinter einem Bocksdornstrauch Posten bezogen, die Pistolen im Anschlag. Padre Crucillà hatte ihnen ein abgeschiedenes Bauernhaus gezeigt, Japichinus Geheimversteck. Doch bevor der Pfarrer sie verließ, hatte er ausdrücklich gesagt, sie müssten mit äußerster Vorsicht vorgehen, er sei nicht sicher, ob Japichinu bereit sei, sich widerstandslos
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