Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
Geräusch des Schlüssels ab, der die Tür im oberen Stockwerk öffnete. »Vinisse ccà, hier entlang«, wies ihm die Stimme der Frau den Weg.
Er fand sich in der guten Stube wieder. Madonnen unter Glasglocken, Reproduktionen weinender Madonnen, mit Lourdes-Wasser gefüllte Fläschchen in Madonnengestalt. Die Signora saß bereits in einem Sessel, der sichtlich maßgeschneidert war. Sie machte Montalbano ein Zeichen, sich auf das Sofa daneben zu setzen. »Jetzt erzählen Sie, Commissario. Ich hab ja nur darauf gewartet! Ich hab's ja gewusst, dass er so enden muss, dieser verkommene Lump! In den Knast mit ihm! Hinter Gitter, bis er verreckt!«
»Von wem sprechen Sie, Signora?«
»Von wem wohl! Von meinem Mann! Drei Nächte hintereinander treibt er sich jetzt schon herum! Er zockt, besäuft sich und treibt's mit den Nutten, dieser widerliche Scheißkerl!«
»Ich bin aber nicht Ihres Mannes wegen gekommen, Signora.«
»Ach nein? Wegen was denn dann?«
»Wegen Giacomo Pellegrino. Sie haben doch die Wohnung hier unten an ihn vermietet, oder?« Der Globus, der das Gesicht von Signora Catarina war, blähte sich immer weiter auf, und der Commissario befürchtete schon eine Explosion. Doch die Signora lächelte zufrieden. »Maria, chi bravupicciottu ca è, so ein netter junger Mann! Wohlerzogen, sauber! Schade, dass ich ihn verloren hab!«
»Inwiefern haben Sie ihn verloren?«
»Ich hab ihn verloren, weil er ausgezogen ist.«
»Wohnt er nicht mehr hier unten?«
»Nein.«
»Signora, erzählen Sie mir alles, von Anfang an.«
»Von welchem Anfang? Am 25. August kommt er rauf und sagt, dass er auszieht, und weil er nicht gekündigt hat, drückt er mir das Geld für drei Monate in die Hand. Am Morgen des Dreißigsten hat er sein Zeug in zwei Koffer gepackt, mir Auf Wiedersehen gesagt und die Wohnung leer zurückgelassen. Und das ist der Anfang und das Ende.«
»Hat er Ihnen gesagt, wo er hinziehen wollte?«
»Warum sollte er mir das sagen? Was sind wir denn? Mutter und Sohn? Mann und Frau? Bruder und Schwester?«
»Cousin und Cousine auch nicht?«, fragte Montalbano, eine interessante Variante möglicher Verwandtschaftgrade anbietend. Aber Signora Catarina bemerkte den Spott gar nicht. »Ach woher denn! Er hat nur gesagt, dass er für einen Monat nach Deutschland geht und dass er in seinem eigenen Haus wohnen will, wenn er wieder da ist. So ein herzensguter Mensch! Der Herrgott beschütze diesen jungen Mann und stehe ihm bei!«
»Hat er aus Deutschland geschrieben oder angerufen?«
»Wieso sollte er? Sind wir vielleicht miteinander verwandt?«
»Das ist, glaube ich, geklärt«, sagte Montalbano. »Ist jemand gekommen und hat nach ihm gefragt?«
» Nonsi, niemand. Erst am 4. oder 5. September war einer da, der nach ihm gefragt hat.«
»Wissen Sie, wer das war?«
»Sissi , ein Polizist. Er hat gesagt, dass u signurinu Giacumu ins Kommissariat kommen muss. Aber ich hab gesagt, dass er in Deutschland ist.«
»Hatte er ein Auto?«
»Jacuminu? Nonsi, er konnte schon fahren, einen Führerschein hatte er. Aber er hatte kein Auto, er hatte ein kaputtes Moped, das ist mal gefahren und mal nicht.« Montalbano stand auf, dankte und verabschiedete sich.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht an die Tür begleite«, sagte Signora Catarina. »Aber das Aufstehen ist so mühsam.«
»Überlegt mal kurz mit mir«, sagte der Commissario zu den Streifenbarben auf seinem Teller. »Nach den Worten von Signora Catarina ist Giacomo am 30. August morgens aus der Wohnung ausgezogen. Laut gleichnamigem Onkel hat Giacomo tags darauf gesagt, er würde nachmittags um vier nach Deutschland fliegen. Die Frage lautet also: Wo hat Giacomo in der Nacht vom Dreißigsten auf den Einunddreißigsten geschlafen? Hätte es nicht näher gelegen, die Nacht in der Wohnung zu verbringen und sie am Einunddreißigsten morgens zu verlassen? Und dann: Wo ist das Moped? Aber die Hauptfrage lautet: Ist Giacomos Geschichte für die Ermittlungen von Belang? Wenn ja, warum?« Die Streifenbarben gaben keine Antwort, auch weil sie sich nicht mehr auf dem Teller, sondern in Montalbanos Bauch befanden.
»Wir tun mal so, als wäre sie von Belang«, sagte er abschließend.
»Fazio, überprüf bitte, ob für den Flug am 31. August um sechzehn Uhr nach Deutschland auf den Namen Giacomo Pellegrino gebucht wurde.«
»Wohin in Deutschland?«
»Das weiß ich nicht.«
»Dotiere, in Deutschland gibt es ziemlich viele
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