Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
der Linken zu essen, während er seine Rechte auf die Hand des Jungen legte. Wenn sich die Hände loslassen mussten, um einen Schluck Wein zu trinken oder Fleisch zu schneiden, fanden sie sich gleich darauf wieder zu ihrem heimlichen Rendezvous unter dem Tisch ein.
»Wenn du schlafen willst, ein Zimmer ist bereit«, sagte Franca, als sie gegessen hatten.
»Nein, ich fahre gleich wieder«, sagte Montalbano.
Aldo und seine Gehilfen standen auf, verabschiedeten sich von Montalbano und gingen.
Giuseppe und Domenico machten es ebenso.
»Sie arbeiten bis fünf«, erklärte Francois. »Dann kommen sie nach Hause und machen ihre Hausaufgaben.«
»Und du?«, fragte Montalbano Francois.
»Ich bleibe bei dir, bis du wieder fährst. Ich will dir was zeigen.«
»Geht nur«, sagte Franca. Und dann, an Montalbano gewandt:
»Ich schreibe inzwischen, worum du mich gebeten hast.« Francois führte ihn hinter das Haus, zu einer großen grünen Wiese voller Luzerne. Vier Pferde weideten darauf. »Bimba!«, rief Francois.
Eine junge Stute mit heller Mähne hob den Kopf und trottete auf den Jungen zu. Als sie nah genug war, nahm Francois Anlauf, saß mit einem Sprung auf, ritt eine Runde und kam wieder zurück.
»Gefällt sie dir?«, fragte Francois glücklich. »Papa hat sie mir geschenkt.«
Papa? Ah, er meinte Aldo, natürlich sagte er Papa zu ihm. Da war einfach eine Nadelspitze, die ihm einen Augenblick lang ins Herz stach, nicht der Rede wert, aber sie war da.
»Livia hab ich auch gezeigt, wie gut ich reiten kann«, sagte Francois.
»Ach ja?«
»Ja, als sie neulich da war. Und sie hat Angst gehabt, dass ich runterfalle. Du weißt doch, wie die Frauen sind.«
»Hat sie hier geschlafen?«
»Ja, eine Nacht. Am nächsten Tag ist sie wieder weg. Ernst hat sie nach Punta Raisi gebracht. Es war schön mit ihr.« Montalbano sagte kein Wort. Schweigend gingen sie zum Haus zurück, der Commissario wieder mit dem Arm um die Schultern des Jungen, und Francois, der Montalbano um die Taille zu fassen versuchte, sich aber in Wirklichkeit an seinem Jackett festhielt. In der Tür sagte Francois leise:
»Ich muss dir ein Geheimnis sagen.«
Montalbano beugte sich hinunter.
»Wenn ich groß bin, werd ich Polizist, wie du.«
Zurück fuhr er die andere Strecke und brauchte daher keine viereinhalb, sondern nur gut drei Stunden. Im Kommissariat überfiel ihn gleich Catarella, noch aufgewühlter als sonst.
»Ah Dottori Dottori! Der Signori und Quistori hat gesagt, dass…«
»Ihr könnt mich mal, alle beide.«
Catarella war am Boden zerstört. Er hatte nicht einmal die Kraft zu antworten.
In seinem Büro machte sich Montalbano auf die mühsame Suche nach einem Briefbogen und einem Umschlag ohne den Briefkopf des Kommissariats. Er hatte Glück und schrieb dem Questore einen Brief, ohne lange Vorrede mit Geschätzter oder Sehr geehrter. »Ich hoffe, Sie haben inzwischen das Schreiben des Notars bekommen, das ich Ihnen anonym in Kopie geschickt habe. Anbei sende ich Ihnen die Abschrift aller Unterlagen bezüglich der ordnungsgemäßen Adoption des Kindes, dessen Entführung mir anzulasten Sie sich unterstanden. Von meiner Seite her betrachte ich die Angelegenheit als erledigt. Sollten Sie den Wunsch haben, auf das Thema zurückzukommen, kündige ich hiermit an, dass ich Sie wegen übler Nachrede anzeigen werde. Montalbano.«
»Catarella!«
»Jawohl, Dottori!«
»Nimm die tausend Lire hier, kauf eine Briefmarke, kleb sie auf diesen Umschlag und schick ihn ab.«
»Dottori, wir haben einen ganzen Haufen Briefmarken im Büro!«
»Tu, was ich dir sage.«
»Fazio!«
»Ja bitte, Dottore?«
»Gibt's was Neues?«
»Sissi , Dottore. Dank einem Freund von mir bei der Flughafenpolizei, der hat einen Freund, der mit einem Mädchen verlobt ist, das in der Ticketausgabe in Punta Raisi arbeitet. Ohne diese gute Gelegenheit wären mindestens drei Monate vergangen, bevor wir eine Antwort gekriegt hätten.« Der italienische Weg, um dem Amtsschimmel zu Leibe zu rücken. Zum Glück gibt es immer jemand, der einen kennt, der wieder einen kennt. »Und?«
Fazio, der den verdienten Triumph genießen wollte, brauchte eine Ewigkeit, um eine Hand in die Jackentasche zu schieben, einen Zettel herauszuholen, ihn zu entfalten und als Spickzettel vor sich hinzuhalten. »Also, Giacomo Pellegrino hatte ein Ticket, ausgestellt vom Reisebüro Icaro in Vigàta, für einen Flug um sechzehn Uhr am 31. August. Und wissen Sie was?
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