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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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wendet er sich an einen Hexer, einen Zau­berer, einen Scharlatan. Und wie es aussieht, mein lieber Freund, liegen wir zu dieser nachtschlafenden Zeit mit unserem Fall im Sterben. Gib mir die Telefonnummer.« Fazio ging hinaus und kam mit einem Zettel wieder. »Das ist seine Zeugenaussage, er ist von sich aus gekom­men. Er sagt, er hat kein Telefon.«
    »Wohnt er wenigstens irgendwo?«
    »Sissi, Dottore. Aber es ist kompliziert hinzukommen. Soll ich es Ihnen aufzeichnen?«
    Als Montalbano die Haustür öffnete, sah er einen Um­schlag im Briefkasten. Er holte ihn heraus und erkannte Livias Handschrift. Aber es war kein Brief, ein Zeitungs­ausschnitt war darin, ein Interview mit einem alten Philo­sophen, der in Turin lebte. Neugierig geworden, beschloss er, es gleich zu lesen, noch bevor er nachsah, was Ade­linas Nichte ihm in den Kühlschrank gestellt hatte. Der Phi­losoph sprach auch über seine Familie und sagte: »Wenn man alt wird, zählen persönliche Beziehungen mehr als abstrakte Begriffe.«
    Er hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Wenn ein Philo­soph irgendwann so weit ist, dass ihm die Spekulation we­niger wichtig ist als persönliche Beziehungen, wie wichtig kann einem Polizisten auf dem Boulevard der Dämmerung dann eine polizeiliche Ermittlung sein? Diese stillschwei­gende Frage stellte ihm Livia mit dem Zeitungsausschnitt. Und er musste schweren Herzens zugeben, dass es nur eine Antwort gab: Vielleicht ist eine polizeiliche Ermitt­lung weniger wichtig als ein abstrakter Begriff. Er schlief schlecht.
    Um sechs Uhr morgens war er schon unterwegs. Der Tag versprach schön zu werden, der Himmel war frei und klar, es war windstill. Er hatte die von Fazio gezeichnete Stra­ßenkarte auf den Beifahrersitz gelegt und warf manchmal einen Blick darauf. Tommasino Antonino oder Antonino Tommasino, war ja auch egal, wie er hieß, wohnte auf dem Land, bei Montereale, also nicht sehr weit von Vigàta. Die Schwierigkeit lag darin, den richtigen Weg zu finden, weil man sich leicht verfahren konnte in einer Art Wüste ohne jeden Baum, die narbig war von Karrenwegen, Pfaden, Spuren von Planierraupen und hier und da unterbrochen von kleinen Bauernhäusern und einigen wenigen Land­häusern. Eine Gegend, die alles tat, um nicht im Hand­umdrehen mit Wochenend-Reihenhäusern zugepflastert zu werden, aber man sah die ersten Anzeichen dafür, wie nutzlos dieser Widerstand war - es gab schon Gräben für Rohrleitungen, Löcher für Strom- und Telegrafenmasten, Trassen für richtige Straßen mit breiten Fahrspuren. Drei­oder viermal fuhr er in der Wüste herum und kam immer zum Ausgangspunkt zurück, Fazios Straßenkarte war zu grob. Als er nicht mehr weiterkam, fuhr er entschlossen zu einem Bauernhof. Er hielt an und stieg aus, die Haustür war offen. »Ist jemand da?«
    »Kommen Sie herein«, rief die Stimme einer Frau. Ein großer Raum, ordentlich und gepflegt, eine Art Wohn- und Esszimmer, die Möbel alt, aber poliert. Eine Frau um die sechzig, grau gekleidet, gepflegte Erscheinung, trank eine Tasse Kaffee, auf dem Tisch dampfte die Espresso­kanne.
    »Nur eine Auskunft, Signora. Ich wollte fragen, wo Signor Antonino Tommasino wohnt.«
    »Der wohnt hier. Ich bin seine Frau.« Aus irgendeinem Grund hatte er sich Tommasino als hal­ben Vagabunden vorgestellt oder bestenfalls als Bauern, diese schützenswert, da vom Aussterben bedrohte Rasse. »Ich bin Commissario Montalbano.«
    »Ich habe Sie erkannt«, sagte die Frau und wies mit dem Kopf auf den Fernseher in der Ecke. »Ich hole meinen Mann. Trinken Sie derweil einen Kaffee, der ist schön stark.«
    »Danke.«
    Die Signora schenkte ihm ein, ging hinaus und kam gleich wieder.
    »Mein Mann fragt, ob Sie zu ihm kommen könnten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    Sie gingen durch einen weiß getünchten Flur, die Frau machte ihm ein Zeichen, er solle durch die zweite Tür links treten. Es war ein richtiges Arbeitszimmer, hohe Regale mit Büchern, an den Wänden alte Seekarten. Der Mann, der sich aus einem Sessel erhob und ihm ent­gegenging, war um die siebzig, hoch gewachsen und auf­recht, er trug einen eleganten Blazer, eine Brille und hatte schönes weißes Haar. Er flößte eine gewisse Scheu ein.
    Montalbano hatte sich einen besessen dreinblickenden Halbirren vorgestellt, dem der Speichel aus dem Mund­winkel lief, und war überrascht. Ob das ein Irrtum war? »Sind Sie Antonino Tommasino?«, fragte er. Er hätte sicherheitshalber gern hinzugefügt: dieser

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