Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
verhalten? So tun, als wäre nichts? Sich ins Auto setzen und das Weite suchen?
»Meine Marotte«, fuhr Tommasino fort, »sind Automobile. Ich habe italienische und ausländische Fachzeitschriften abonniert. Ich könnte an einem Fernsehquiz zu diesem Thema teilnehmen und würde sicher gewinnen.«
»Saß jemand in dem Wagen?«, fragte der Commissario, der sich mittlerweile damit abgefunden hatte, dass der Lehrer völlig unberechenbar war.
»Nun, da ich wie gesagt von dort drüben kam, konnte ich das Auto eine Zeit lang sozusagen im Profil beobachten. Als ich dann näher kam, hätte ich feststellen können, ob im Inneren die Silhouetten von Menschen zu sehen waren. Ich habe keine bemerkt. Vielleicht haben sich die Leute im Auto geduckt, als sie einen Schatten näher kommen sahen. Ich ging vorbei, ohne mich umzudrehen.«
»Haben Sie dann gehört, wie der Motor angelassen wurde?«
»Nein. Aber ich glaube, wohlgemerkt, glaube, dass der Kofferraum offen stand.«
»Und war jemand neben dem Kofferraum?«
»Nein, niemand.«
Montalbano kam eine Idee, so simpel, dass es ihm fast peinlich war.
»Professore, würden Sie sich bitte dreißig Schritte entfernen und dann auf dem gleichen Weg, den Sie in besagter Nacht gingen, wieder zu meinem Auto hinlaufen?«
»Natürlich«, sagte Tommasino. »Ich laufe gern.«
Während der Lehrer sich umdrehte und losmarschierte, öffnete Montalbano den Kofferraum und hockte sich dann hinter sein Auto; den Kopf hob er nur so weit, dass er durch die Fenster der Hintertüren Tommasino beobachten konnte, der die dreißig Schritte gelaufen war und sich jetzt umdrehte und wieder zurückging. Da senkte Montalbano den Kopf und machte sich ganz unsichtbar. Als er schätzte, dass der Lehrer auf Höhe des Autos angekommen war, bewegte er sich in der Hocke bis zum Kofferraum. Er rutschte noch weiter, bis er auf der anderen Seite war, als er merkte, dass der Lehrer vorbeigelaufen war: eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, weil er gesagt hatte, er habe sich nie umgedreht. Da richtete Montalbano sich wieder auf.
»Danke, Professore, das reicht.« Tommasino sah ihn verwirrt an.
»Wo haben Sie sich versteckt? Ich habe den offenen Kofferraum gesehen, aber das Auto war leer, und Sie waren nirgends.«
»Sie kamen von dort, und als Gargano Ihren Schatten kommen sah.«
Er verstummte. Der Himmel spitzte plötzlich hervor. Eine kleine Lücke, ein Riss hatte sich in dem schwarzen, einförmigen Wolkengewebe gebildet, und durch dieses Schlupfloch hatte sich ein Sonnenstrahl seinen Weg gebahnt, leuchtend und fast ausschließlich begrenzt auf die Stelle, an der sie sich befanden. Montalbano musste lachen. Sie wirkten wie zwei vom göttlichen Licht angestrahlte Figuren auf einem naiven Exvoto. Und in diesem Augenblick sah er etwas, was nur dieser spezielle Lichtkegel, fast ein Theaterscheinwerfer, hatte sichtbar machen können. Er spürte einen kalten Schauer, und in seinem Kopf schlug das wohl bekannte Glöckchen an.
»Ich bringe Sie zurück«, sagte er zu dem Lehrer, der auf die Fortsetzung der Erklärung wartete und ihn fragend ansah.
Er verabschiedete sich von Tommasino, den er am liebsten umarmt hätte, und raste wie ein Irrer zu der Stelle zurück. In der Zwischenzeit waren keine anderen Autos angekommen, die ihn gestört hätten. Er hielt an, stieg aus, ging langsam näher, einen Fuß vor den anderen setzend, den Blick immer auf den Boden geheftet, bis an den Rand des Abgrunds. Der hilfreiche Lichtstrahl war nicht mehr da, dieser Strahl, der wie der Lichtkegel einer Taschenlampe im Dunkeln gewesen war, aber er wusste ja, wonach er suchen musste.
Dann streckte er sich langsam vor und blickte hinunter. Das Plateau bestand aus einer Erdschicht auf Mergel. Und tatsächlich stürzte eine glatte weiße Mergelwand senkrecht ins Meer, das dort mindestens zehn Meter tief sein musste. Das Wasser war dunkelgrau wie der Himmel. Er wollte keine Zeit mehr verlieren. Er blickte ein-, zwei-, dreimal ringsum, um sich feste Anhaltspunkte zu merken. Dann setzte er sich wieder ins Auto und fuhr schnell ins Kommissariat.
Fazio war nicht da, dafür aber, unvermutet, Mimi Augello. »Bebas Vater geht's besser. Wir haben die Hochzeit um einen Monat verschoben. Gibt es Neuigkeiten?«
»Ja, Mimi. Allerdings.«
Er erzählte ihm alles, und am Ende blieb Augello der Mund offen stehen.
»Und was willst du jetzt tun?«
»Du musst mir ein Schlauchboot mit einem starken Außenborder besorgen. In einer
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