Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
von Fazio im Kommissariat. Montalbano rief seinen Freund Nicolò Zito an, den Journalisten von »Retelibera«. »Willst du die Kassette, die Annalisa für dich zusammengestellt hat, doch noch haben?«
»Welche Kassette?«
»Die mit den Beiträgen über Gargano.«
Das hatte er völlig vergessen, aber er gab vor, genau deshalb anzurufen.
»Bist du da, wenn ich in einer halben Stunde vorbeikomme?«
Als er bei »Retelibera« ankam, wartete Zito schon an der Tür, die Kassette in der Hand:
»Los, ich hab's eilig, ich muss die Nachrichten machen.«
»Danke, Nicolò. Ein Tipp: Behalte Guarnotta ab jetzt im Auge. Und wenn du kannst, berichte mir.« Nicolò hatte es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, er spitzte die Ohren, er wusste sehr gut, dass ein halbes Wort von Montalbano mehr wert war als ein dreistündiges Gespräch.
»Wieso, ist was?«
»Ja.«
»Hat es was mit Gargano zu tun?«
»Ich glaube, ja.«
In der Trattoria »San Calogero« überkam ihn ein solcher Heißhunger, dass sogar der Wirt staunte, obwohl er ihn oft essen sah:
»Dottore, was ist los? Haben Sie ein Leck?« Er kam überglücklich in Marinella an. Nicht wegen der Geschichte mit dem Auto, die war ihm im Augenblick ziemlich egal, nein, er war stolz, dass er sich immer noch auf so anstrengende Tauchtouren einlassen konnte.
»Ich möchte mal sehen, wie viele junge Leute so was schaffen würden!«
Von wegen alt! Wie hatte er nur auf diese dummen Gedanken mit dem Alter kommen können? Es war noch nicht so weit!
Als er die Kassette in den Kassettenrecorder schieben wollte, fiel sie auf den Boden. Er bückte sich, um sie aufzuheben, und verharrte in dieser halb gebeugten Haltung, ein bohrender Schmerz im Rücken machte jede Bewegung unmöglich.
Niederträchtig rächte sich das Alter.
Zwölf
Was da ertönte, war das Telefon, nicht die Geige von Maestro Cataldo Barbera, der ihm gerade im Schlaf erschienen war und gesagt hatte: »Lauschen Sie diesem Concertino.«
Er schlug die Augen auf und sah auf den Wecker: fünf vor acht.
Es kam sehr selten vor, dass er so spät wach wurde. Als er aufstand, stellte er befriedigt fest, dass die Rückenschmerzen vergangen waren. »Pronto?«
»Salvo, hier ist Nicolò. In den Acht-Uhr-Nachrichten kommt ein Live-Bericht von mir. Sieh's dir an.« Montalbano schaltete den Fernseher an und stellte »Retelibera« ein. Nach der Erkennungsmelodie erschien Nicolòs Gesicht. In wenigen Worten sagte er, er befinde sich an Punta Pizzillo, denn in der Questura Montelusa sei der Anruf eines polnischen Admirals eingegangen, dass dort ein Auto ins Meer gestürzt sei. Dottor Guarnotta habe die brillante Intuition gehabt, es könnte sich um den Alfa 166 von Ragioniere Emanuele Gargano handeln. Er habe deshalb unverzüglich die Bergung des Wagens veranlasst. Die Bergung sei jedoch noch nicht abgeschlossen. Schnitt. Der Kameramann zoomte schwindelerregend schnell ein kleines Stück Meer am Fuß des Abgrunds heran. Das Auto, erklärte Zito aus dem Off, liege dort in etwa zehn Meter Tiefe, buchstäblich eingekeilt zwischen der Mergelwand und einem großen Felsen. Der Kameramann fuhr in die Totale, und auf dem Bildschirm erschienen ein großer Ponton mit einem Kran und ein Dutzend Motor-, Schlauch- und Fischerboote. Das Unternehmen werde im Lauf des Tages fortgesetzt, fügte Zito hinzu, aber inzwischen hätten die Taucher eine Leiche heraufgeholt, die in dem Wrack eingeklemmt gewesen sei. Schnitt. An Deck eines Fischkutters lag ein Körper, ein Mann hockte neben dem Toten. Es war Dottor Pasquano. Stimme eines Journalisten: »Entschuldigen Sie, Dottore, ist er Ihrer Meinung nach bei dem Absturz gestorben oder wurde er vorher umgebracht?«
Pasquano (kaum den Blick hebend): »Ihr könnt mich alle ( bip )…«
Wie immer bezaubernd liebenswürdig.
»Jetzt hat der Leiter der Ermittlungen das Wort«, sagte Nicolò.
Alle standen nah nebeneinander, wie auf einem Foto: eine vielköpfige Familie bei einer Aufnahme im Freien. Polizeipräsident Bonetti-Alderighi, Staatsanwalt Tommaseo, der Chef der Spurensicherung Arquà, der leitende Ermittler Commissario Guarnotta. Alle lachend, als befänden sie sich auf einem Fest, und alle gefährlich nahe am brüchigen Rand des Abgrunds. Montalbano verscheuchte den gemeinen Gedanken, der ihm gekommen war, aber den Abgang des halben Polizeipräsidiums Montelusa live mitzuerleben wäre zumindest ein außergewöhnliches Schauspiel gewesen.
Der Questore dankte
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