Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
der her? Dann fiel es ihm wieder ein: Es war der Brief, den Catarella ihm mit den Worten gegeben hatte, er sei von dem Journalisten Ponzio Pilato. Er wollte ihn schon wegwerfen, beschloss aber aus irgendeinem Grund, ihn doch zu lesen, er musste ihn ja nicht beantworten. Sein Blick fiel auf die Unterschrift: Sozio Melato, das war nach Catarella-Sprache leicht in Ponzio Pilato zu übersetzen. Der Brief war sehr kurz, und das bedeutete von vornherein einen Pluspunkt für den Schreiberling.
Lieber Commissario Montalbano,
ich bin Journalist, bin jedoch nicht bei einem der großen Blätter angestellt, sondern arbeite für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften.
Ein so genannter Freelance also. Ich habe wichtige Berichte über die Mafia in der Brenta-Region und den Waffenschmuggel aus dem Osten geschrieben und beschäftige mich seit einiger Zeit unter einem bestimmten Aspekt mit der illegalen Zuwanderung über die Adria und das südliche Mittelmeer.
Neulich abends habe ich Sie am Hafen gesehen, als wieder einmal Flüchtlinge an Land gebracht wurden. Ich kenne Sie vom Namen her und dachte, ein Meinungsaustausch könnte für uns beide von Nutzen sein (ich mache natürlich kein Interview: Ich weiß, dass Sie Interviews verabscheuen).
Unten steht meine Handynummer.
Ich bin noch zwei Tage in Sizilien.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Sozio Melato.
Der trockene Ton, der aus den Zeilen sprach, gefiel ihm.
Montalbano beschloss, den Journalisten vom Büro aus gleich anzurufen und sich mit ihm zu verabreden, falls er noch im Lande war. Er suchte sich eine frische Hose heraus.
Im Kommissariat rief er sofort Catarella und Augello zu sich.
»Catarella, hör mir jetzt ganz genau zu. Nachher ruft ein gewisser Marzilla an. Wenn er anruft …«
»Tschuldigung, Dottori«, unterbrach ihn Catarella. »Wie heißt dieser Marzilla? Cardilla?«
Montalbano war beruhigt. Wenn Catarella wieder so blöd war und Namen falsch wiederholte, dann ging die Welt noch lange nicht unter.
»Herrgott noch mal, wieso soll er Cardilla heißen, wenn du doch selber gerade Marzilla gesagt hast!«
»Echt?«, fragte Catarella bestürzt. »Aber wie heißt denn jetzt der verflixte Kerl?«
Der Commissario nahm ein Blatt, schrieb mit rotem Stift in Riesenbuchstaben MARZILLA darauf und reichte es Catarella.
»Lies.«
Catarella las richtig.
»Sehr gut«, sagte Montalbano. »Den Zettel hängst du dir neben das Telefon. Wenn er anruft, musst du ihn mit mir verbinden, egal, ob ich hier oder in Afghanistan bin. Kapiert?«
»Jawohl, Dottori. Gehen Sie ruhig nach Agfastan, ich stell ihn schon durch.«
»Wieso sollte ich bei dieser Showeinlage dabei sein?«, fragte Augello, als Catarella gegangen war.
»Weil du Catarella dreimal am Vormittag und dreimal am Nachmittag fragen musst, ob Marzilla angerufen hat.«
»Wer ist denn dieser Marzilla?«
»Ich erzähl's dir, wenn du ein lieber Junge bist und brav deine Hausaufgaben machst.«
Der Rest des Vormittags verlief vollkommen ruhig. Beziehungsweise ohne nennenswerte Vorkommnisse: ein Einsatz wegen eines heftigen Familienstreits, der in Aggression gegen Gallo und Galluzzo umschlug, als die gesamte Familie auf den polizeilichen Schlichtungsversuch hin plötzlich wieder ein Herz und eine Seele war; die Anzeige des totenbleichen zweiten Bürgermeisters, dem man ein Kaninchen mit durchgeschnittener Kehle an die Haustür gehängt hatte; aus einem fahrenden Auto Schüsse auf einen Mann an einer Tankstelle, der unversehrt blieb, in sein Auto sprang und auf Nimmerwiedersehen verschwand, ohne dass sich der Tankwart das Kennzeichen hätte notieren können; der fast alltägliche Überfall auf einen Supermarkt. Und das Handy des Journalisten Melato blieb hartnäckig ausgeschaltet. Montalbano war jedenfalls ziemlich bedient. Er entschädigte sich in der Trattoria Da Enzo.
Gegen vier meldete sich Fazio. Er rief mit dem Handy aus Spigonella an.
»Dottore? Ich hab was.«
»Erzähl.«
»Hier glauben mindestens zwei Leute, sie hätten Ihren Toten gesehen, sie haben ihn auf dem Foto mit dem Schnauzer erkannt.«
»Wissen sie, wie er heißt?«
»Nein.«
»Hat er dort gewohnt?«
»Das wissen sie nicht.«
»Wissen sie, was er da wollte?«
»Nein.«
»Scheiße, was wissen die denn dann?«
Fazio zog es vor, nicht direkt zu antworten.
»Könnten Sie herkommen, Dottore? Dann machen Sie sich selbst ein Bild von der Lage. Sie können entweder die Küstenstraße fahren, aber da ist immer viel Verkehr, oder über
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