Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
getan. Sie hatten auch das Glück, dass Sie dringend nach Scroglitti gerufen wurden, was Ihnen einen guten Grund für Ihr Vorgehen geliefert hat.
Antworten Sie.«
»Ja.«
»Ist der Fahrer des Krankenwagens Ihr Komplize?«
»Ja. Er kriegt jedes Mal hundert Euro von mir.«
»Wie oft haben Sie das schon gemacht?«
»Zweimal.«
»Und beide Male hatten die Erwachsenen Kinder dabei?« Marzilla schluckte zwei- oder dreimal, bevor er antwortete. »Ja.«
»Wo sitzen Sie bei diesen Fahrten?«
»Je nachdem. Neben dem Fahrer oder hinten bei den Leuten.«
»Und wo saßen Sie bei der Fahrt, um die es mir geht?«
»Eine Zeit lang vorn.«
»Und dann haben Sie sich nach hinten gesetzt?« Marzilla schwitzte, er war in Bedrängnis. »Ja.«
»Warum?«
»Kann ich einen Schluck Wasser haben?«
»Nein.«
Marzilla sah ihn erschrocken an.
»Wenn Sie es mir nicht sagen wollen, dann sage ich es Ihnen. Sie mussten nach hinten umsteigen, weil eines der Kinder, der sechsjährige Junge, der Älteste, um jeden Preis rauswollte, er wollte freigelassen werden. Stimmt's?«
Marzilla nickte.
»Und was haben Sie da gemacht?«
Der Sanitäter sagte etwas so leise, dass der Commissario es kaum hörte. »Eine Spritze? Schlafmittel?«
»Nein. Beruhigungsmittel.«
»Und wer hat das Kind festgehalten?«
»Die Mutter. Oder wer das war.«
»Und die anderen Kinder?«
»Haben geweint.«
»Auch der Junge, dem Sie die Spritze gaben?«
»Nein, der nicht.«
»Was hat er gemacht?«
»Er hat sich die Lippen blutig gebissen.«
Montalbano spürte in beiden Beinen ein heftiges Kribbeln und stand langsam auf.
»Schauen Sie mich bitte an.«
Marzilla hob den Kopf und sah ihn an. Der erste Schlag, auf die linke Backe, war so gewaltig, dass sich sein Kopf fast ganz nach hinten drehte, der zweite erwischte Marzilla, als er sich wieder umwandte, und sorgte dafür, dass ihm das Blut aus der Nase schoss. Der Mann versuchte erst gar nicht, das Blut abzuwischen, sondern ließ es auf Hemd und Jacke tropfen. Montalbano setzte sich wieder.
»Sie versauen mir den Boden. Hinten rechts ist das Bad. Gehen Sie sich waschen. Die Küche ist gegenüber, im Kühlschrank müssten Eiswürfel sein. Sie sind ja nicht nur ein Kinderquäler, sondern auch Krankenpfleger und wissen, was Sie zu tun haben.«
Während sich der Mann in Bad und Küche zu schaffen machte, versuchte Montalbano die ganze Zeit, nicht an die Szene zu denken, von der Marzilla gesprochen hatte, an diese kondensierte Hölle in dem engen Krankenwagen, an die Angst der weit aufgerissenen Augen vor der rohen Gewalt …
Und er selbst hatte dieses kleine Wesen bei der Hand genommen und dem Grauen zugeführt. Das konnte er sich nicht verzeihen, es war nutzlos, sich immer wieder zu sagen, dass er doch nur das Beste gewollt hatte . Er durfte nicht daran denken, er durfte sich nicht von der Wut überwältigen lassen, wenn er den Mann weiter vernehmen wollte. Marzilla kam zurück. Er hatte aus seinem Taschentuch ein Säckchen für das Eis geknotet und drückte es, den Kopf leicht nach hinten geneigt, mit einer Hand gegen die Nase. Er setzte sich dem Commissario gegenüber und sagte keinen Ton.
»Und jetzt erzähle ich Ihnen, warum Sie über meinen Besuch im Laden so erschrocken sind. Du …«
Marzilla fuhr zusammen. Der abrupte Übergang zum Du wirkte wie ein Pistolenschuss auf ihn.
»… du hast erfahren, dass das Kind, dem du die Spritze gegeben hast, wie ein wildes Tier erlegt wurde. Stimmt's?«
»Ja.«
»Und da ist dir angst und bange geworden. Denn du bist zwar ein mieser kleiner Verbrecher, ein erbärmliches Stück Scheiße, aber an einem Mord beteiligt zu sein, das traust du dich nicht. Wie du erfahren hast, dass der Junge, mit dem du zu tun hattest, derselbe ist, den sie zusammengefahren haben, sagst du mir nachher. Jetzt rede du. Ein paar Sachen kannst du dir sparen, ich weiß nämlich, dass du bis zum Hals in Schulden steckst und Geld brauchst, und zwar viel, um die Wucherer zu bezahlen. Jetzt weiter.«
Marzilla fing an auszupacken. Von den beiden Ohrfeigen musste er ziemlich benommen sein, aber sie hatten ihn auch ein bisschen zur Besinnung gebracht, und ändern konnte er sowieso nichts mehr.
»Als mir die Banken keinen Kredit mehr gaben, habe ich herumgefragt, wer mir weiterhelfen könnte, damit ich nicht alles verliere. Man nannte mir einen Namen, und ich ging hin. Und so fing ein Ruin an, der schlimmer war als die Pleite. Der Herr hat mir Geld geliehen, aber zu einem Zins, für den ich
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