Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
Ärzten aus der gesamten Provinz, von Spitälern, von Apotheken. Außerdem hatte Angelo Pardo gewissenhaft alle Arbeitstreffen aufgeschrieben. Er legte sie zur Seite und durchblätterte die kleinere. Das war sein Privatkalender. Da gab es den Namen und die Telefonnummer von Elena Sclafani, die seiner Schwester Michela und die vieler anderer, die er nicht kannte. Er blickte auf die Seite, die den vergangenen Montag betraf. Da stand: »21 Uhr E«. Also stimmte die Sache mit der Verabredung, wie Elena sie ihm erzählt hatte. Er legte auch die kleine Kalenderkladde zur Seite und griff zum Telefon.
»Catare, Montalbano hier. Gib mir mal Fazio.«
»Unmittelbar sogleich, Dottori.«
»Fazio, kannst du sofort zu mir in die Wohnung von Angelo Pardo kommen?«
»Auf die Terrasse?«
»Nein, nach unten, in seine Wohnung.«
»Ich komme.«
»Ach ja, und bring auch Catarella mit.«
»Catarella?!«
»Wieso nicht, ist der etwa nicht transportfähig?« Der Schreibtisch hatte drei Schubladen. Er öffnete die rechte. Auch hier Papiere und Dokumente, die seine Geheimnisse als, wie sagte man jetzt?, ach ja, »medizinischwissenschaftlicher Informant« betrafen. Die mittlere ließ sich nicht öffnen, sie war abgeschlossen und der Schlüssel war nicht zu sehen. Möglich, dass Michela ihn mitgenommen hatte. Was für ein Riesenarschloch er doch gewesen war! Gerade wollte Montalbano die linke Schublade öffnen, da überraschte ihn der laute Ton des Telefons auf dem Schreibtisch dermaßen, dass er einen Schreck bekam. Er nahm ab.
»Ja?«, sagte er, wobei er sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zuhielt, um die Stimme zu verzerren.
»Bist du erkältet?«
»Ja.«
»Deshalb bist du gestern Abend nicht gekommen, du Bastard! Ich erwarte dich heute Abend, verstanden? Selbst wenn du 'ne Lungenentzündung hast.« Ende des Anrufs. Die Stimme eines Mannes von wenigen und gefährlichen Worten, eine gebieterische Stimme. Ein Arzt würde einen medizinisch-wissenschaftlichen Informanten wohl kaum als Bastard titulieren, wenn er mal einen Termin nicht einhielt. Montalbano nahm die dicke Kalenderkladde, sah auf die Seite, die den gestrigen Tag betraf, Donnerstag. Der Abendteil war weiß, da stand kein Eintrag, während für den Vormittag eine Verabredung in Fanara mit einem gewissen Dottor Caruana eingetragen war.
Er wollte gerade die linke Schublade noch einmal öffnen, da klingelte das Telefon erneut. Montalbano kam der Verdacht, dass die Schublade und das Telefon irgendwie miteinander verbunden waren. »Ja?«, sagte er wieder mit zugehaltener Nase. »Dottor Angelo Pardo?«
Eine Frauenstimme, um die fünfzig und streng. »Ja, ich bin's.«
»Ihre Stimme klingt sonderbar.«
»Erkältet.«
»Ah. Ich bin die Sprechstundenhilfe von Dottor Caruana in Fanara. Dottor Caruana hatte gestern Vormittag lange auf Sie gewartet, und Sie haben uns nicht einmal mitgeteilt, dass Sie nicht mehr vorbeikommen würden.«
»Richten Sie Dottor Caruana meine Entschuldigung aus, aber die Erkältung… Ich werde mich wieder mei…« Er hielt inne. Aber wenn er anstelle eines Toten redete, wie sollte dieser Tote sich je wieder melden? »Hallo?«, sagte die Sprechstundenhilfe. »Sobald ich kann, rufe ich an. Buongiorno.« Er legte auf. Etwas ganz anderes als der Ton, den der Unbekannte des ersten Anrufs sich erlaubt hatte. Was außerordentlich interessant war. Aber würde er je in der Lage sein, die Schublade zu öffnen? Er bewegte die Hand vorsichtig außerhalb des Blickfeldes des Telefons. Diesmal gelang es ihm.
Sie war prallvoll mit Papieren. Alle nur erdenklichen und vorstellbaren Quittungen darüber, was nötig ist, um einen Haushalt aufrechtzuerhalten, Miete, Strom, Gas, Telefon, andere Nebenkosten. Aber nichts, was ihn betraf, Angelo, persönlich selber, wie Catarella es ausgedrückt hätte. Vielleicht bewahrte er die Papiere oder Sachen, die ihn unmittelbar betrafen, in der mittleren Schublade auf. Er machte die Schublade zu, und das Telefon klingelte. Vielleicht hatte der Apparat verspätet gemerkt, dass er ihn beschissen hatte, und wollte jetzt seine Revanche. »Ja?«
Wieder mit zugehaltener Nase.
»Darf man vielleicht mal wissen, wo du abgeblieben bist, du Arschloch?«
Die Stimme eines Vierzigjährigen, wütend. Er wollte antworten, aber der andere redete weiter. »Warte einen Augenblick, ich hab einen Anruf auf der anderen Leitung.«
Montalbano spitzte die Ohren, aber zu ihm drang lediglich ein undeutliches Gemurmel. Danach nur ein
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