Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
das Handy und die Geldbörse zurückhaben.«
»Ich kümmere mich darum. Kann ich gehen?«
»Nein. Versuch mal, die mittlere Schublade des Schreibtischs zu öffnen. Sie ist abgeschlossen. Du musst sie so öffnen und wieder zumachen, als ob keiner Hand angelegt hätte.«
»Das braucht ein bisschen Zeit.«
»Und du hast so viel Zeit, wie du brauchst.« Während Fazio anfing herumzuhantieren, ging Montalbano ins Wohnzimmer. Catarella hatte das Laptop eingeschaltet und hantierte ebenfalls herum. »Dottori, das ist verdammt sauschwer.«
»Warum?«
»Weil es eine Passierwache gibt.«
Montalbano war irritiert. Was für eine Wache? Und wer passiert wo?
»Catare, was redest du da für ein Scheißzeug?«
»Dottori, ich erklär Ihnen das jetzt mal. Wenn einer nicht will, dass ein anderer seine intimen Sachen anschaut, die er da drin hat, dann stellt er eine Passierwache auf.« Montalbano verstand. »Du meinst ein Passwort?«
»Hab ich das denn nicht gerade gesagt? Ich hab doch dasselbe gesagt. Und wenn wir dieses Wort nicht wissen, dann lässt uns die Wache nicht passieren.«
»Heißt das, wir sind jetzt in den Arsch gefickt?«
»Das ist nicht gesagt, Dottori. Er würde ein Blatt Papier brauchen, auf dem der Vor- und Nachname des Eigentümers geschrieben steht, Geburtsdatum, Name der Ehefrau oder der Verlobten und des Bruders oder der Schwester und der Mutter und des Vaters, des Sohnes, wenn er einen hat, der Tochter, wenn er eine hat…«
»In Ordnung, heute Nachmittag gebe ich dir alles. Inzwischen nimm den Computer mit ins Kommissariat. Und wem gibst du das Blatt Papier?«
»Wem soll ich was geben, Dottori?«
»Catare, du hast gesagt: »Er würde ein Blatt Papier brauchen.« Wer ist dieser Er?«
»Dieser Er bin doch ich, Dottori.« Fazio rief aus dem Arbeitszimmer nach ihm.
Fünf
»Ich hatte Glück, Dottore. Ich habe einen Schlüssel von mir gefunden, der dafür wie gemacht war. Keiner wird merken, dass sie geöffnet worden ist.«
Der Inhalt der Schublade präsentierte sich in perfekter Ordnung.
Reisepass, aus dem Montalbano die Daten für Catarella abschrieb; Verträge, die den Prozentanteil an den verkauften Produkten festlegten; zwei notarielle Dokumente, aus denen Montalbano, auch dies zur Arbeitserleichterung für Catarella, die Namen und Geburtsdaten von Michela und ihrer Mutter kopierte, die mit Vornamen Assunta hieß; die zweimal gefaltete Promotionsurkunde aus Pergament, die sechzehn Jahre zuvor ausgestellt worden war; der Brief der Ärztekammer von vor zehn Jahren, der dem Exdottore Angelo Pardo die erfolgte Tilgung seines Namens ohne die Nennung des Wie und Warum mitteilte; ein Briefumschlag mit tausend Euro in lauter Fünfzigeuro scheinen; zwei Fotoalben als Erinnerung an eine Reise nach Indien und an eine andere nach Russland; drei Briefe von Signora Assunta an den Sohn, in denen sie sich über das Zusammenleben mit Michela beklagte, und weitere Dinge dieser Art, alles persönlich zwar, aber - in Montalbanos Augen - alles auch völlig nutzlos. Unter diesen Papieren befand sich auch eine alte Mitteilung an die Polizei über einen in der Wohnung befindlichen Revolver, der einmal dem Vater gehört hatte. Doch von der Waffe selbst keine Spur. Vielleicht hatte Angelo sich ihrer entledigt. »Hatte dieser Herr denn kein Girokonto?«, fragte Fazio. »Wie kommt es, dass kein Scheckheft existiert, es gibt nicht einmal Überreste von gebrauchten Scheckheften oder sonst irgendeinen Nachweis?«
Er erhielt keine Antwort auf die Frage, weil Montalbano sich nämlich gerade die gleiche Frage stellte und sie weder sich selbst noch Fazio zu beantworten wusste. Was den Commissario allerdings verwunderte, und zwar ziemlich, und was auch Fazio in Erstaunen versetzte, war die Entdeckung eines abgenutzten Heftchens mit dem Titel Die schönsten italienischen Kanzonen aller Zeiten. Im Wohnzimmer befand sich zwar ein Fernsehgerät, aber nirgends sah man Schallplatten oder einen CD-Player, nicht einmal ein Radio.
»Gab es im Zimmer auf der Terrasse Schallplatten, Kopfhörer oder Musikanlagen?«
»Nichts, Dottore.«
Warum bewahrte dann jemand in einer abgeschlossenen Schublade ein Heftchen mit Texten von Kanzonen auf? Außerdem sah das Heftchen so aus, als wäre es oft benutzt worden: Zwei abgelöste Seiten waren an ihrem Platz sehr sorgfältig mit Tesafilm wieder eingeklebt worden. Außerdem waren an den Seitenrändern Nummern notiert worden. Montalbano schaute sie sich genau an und brauchte nicht viel, um zu
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