Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
13. Oktober Gelegenheit hatten, die Wohnung zu betreten?«
»Dieselbe Frage hat mir Spitaleri auch gestellt. Nein, ich bin nicht da reingegangen, weil ich keinen Grund dazu hatte.«
Wenn er hineingegangen wäre, hätte er wenigstens die Blutlache im Wohnzimmer bemerken müssen. Aber er wirkte ehrlich.
»Haben Sie gesehen, dass da eine Koffertruhe war?«
»Jaja, die wurde von …«
»Ja, Signor Speciale. Haben Sie sie aufgemacht?«
»Die Koffertruhe? Nein. Ich wusste ja, dass sie leer war. Wozu sollte ich sie dann noch aufmachen?« Ohne ihm zu antworten, nahm Montalbano die Karteikarte, drehte sie um und reichte sie ihm. Miccichè betrachtete das Foto des ermordeten Mädchens, las die Vermisstenanzeige und gab das Blatt dem Commissario zurück. Er war völlig durcheinander. »Was hat die denn damit zu tun?« Fazio antwortete ihm.
»Wenn Sie die Kofferkiste am Morgen des 13. Oktober geöffnet hätten, hätten Sie sie da drinnen gefunden. Mit durchgeschnittener Kehle und verpackt.« Miccichès Reaktion fiel anders aus als erwartet. Er sprang auf, mit violett angelaufenem Gesicht, geballten Fäusten und gebleckten Zähnen. Ein wildes Tier. Montalbano hatte Angst, er würde auf den Schreibtisch springen.
»Dieser elende Schuft! Dieser Hurensohn!«
»Wer?«
»Spitaleri! Er wusste es und hat mir nichts gesagt! So wie er mit mir geredet hat, hätte ich doch kapieren müssen, dass er mich in Schwierigkeiten bringen wollte!«
»Setzen Sie sich und beruhigen Sie sich. Wieso hätte Ihrer Meinung nach Spitaleri beabsichtigen wollen, Sie in Schwierigkeiten zu bringen?«
»Damit Sie glauben, ich war der gewesen, der die Kleine ermordet hat! Als ich weggegangen bin, ist Dipasquale noch in Pizzo geblieben! Und von dieser ganzen Sache weiß ich nichts, gar nichts!«
»Haben Sie dieses Mädchen manchmal in der Umgebung der Baustelle gesehen?«
»Nie!«
»Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie gemacht haben, nachdem Sie am 12. Oktober nachmittags mit der Arbeit fertig waren?«
»Wie soll ich mich daran noch erinnern können? Das liegt doch schon sechs Jahre zurück!«
»Strengen Sie sich an, Signor Miccichè. In Ihrem eigenen Interesse«, sagte Fazio.
Miccichè wurde von einem neuerlichen Wutanfall übermannt. Er sprang auf, und noch bevor Fazio ihn aufhalten konnte, nahm er Anlauf und versetzte der geschlossenen Bürotür einen gewaltigen Stoß mit dem Kopf. Während Fazio ihn zwang, sich wieder zu setzen, ging die Tür auf und ein etwas verdatterter Catarella erschien. «Dottori, haben Sie mich gerufen?«
Zehn
Fazio und Montalbano mussten sich ordentlich anstrengen, die wild gewordene Bestie abwechselnd mit Worten und heftigen Stößen, mit Schmeicheleien und Rasseln der Handschellen zu besänftigen.
Dann fing Miccichè, der nun seit fünf Minuten ruhig mit dem Kopf zwischen den Händen dasaß und sich konzentrierte in dem Versuch, sich zu erinnern, an zu flüstern:
»Warten Sie … Warten Sie …«
»Der Kopfstoß bringt ihm die Erinnerung zurück«, sagte Montalbano leise zu Fazio.
»Warten Sie … Ich meine, dass es derselbe Tag war, als … Ja… Ja…«
Er sprang wieder auf, doch Montalbano und Fazio stürzten sich schnell auf ihn und hielten ihn fest. Inzwischen hatten sie den Dreh raus. »Ich wollte doch nur meine Frau anrufen!«
»Wenn's weiter nichts ist…«, sagte der Commissario. Fazio reichte ihm das Telefon. Miccichè wählte eine Nummer, war aber zu nervös und vertippte sich, ein Feinkostgeschäft antwortete, er wählte noch einmal und vertippte sich wieder.
»Ich wähl für Sie«, sagte Fazio.
Miccichè nannte ihm die Nummer, während er den Hörer in der Hand hielt.
»Carmelina? Ich bin's. Erinnerst du dich, dass sich unser Sohn Michilino vor sechs Jahren ein Bein gebrochen hatte? Frag jetzt nicht, warum ich dich das frage, und antworte einfach nur mit Ja oder Nein. Erinnerst du dich? Du erinnerst dich nicht, ob das vor sechs Jahren war? Denk mal gut nach. Es war vor sechs Jahren? Ja? Und war es nicht am 12. Oktober? Ja?« Er legte wieder auf.
»Jetzt fällt mir alles wieder ein. Weil ich also früh nach Hause gekommen war, hatte ich mich hingelegt und war eingeschlafen. Dann hat Carmelina mich weinend aufgeweckt. Michilino war mit dem Fahrrad gestürzt und hatte sich ein Bein gebrochen. Ich hab ihn dann gleich ins Krankenhaus nach Montelusa gebracht. Meine Frau ist mit mir gekommen. Wir sind bis abends im Krankenhaus geblieben. Das können Sie überprüfen.«
»Das werden wir
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