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Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers

Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers

Titel: Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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so tief wie möglich in ihn hineinzustecken. Gleichzeitig bahnte er sich mit dem gesamten Gewicht seines Körpers einen Weg vorwärts durch den Strohhaufen und bewegte ihn mal nach rechts, mal nach links. Und endlich nahm er den trockenen, sauberen Geruch von verdorrtem Stroh wahr, atmete ihn tief ein und noch tiefer, bis er auch einen Duft verspürte, den es mit Sicherheit nur in seiner Fantasie gab, nämlich den Duft von Meereswind, der es vermocht hatte, in das dichte Stoppelgewirr vorzudringen und sich darin einzuschließen. Ein Meereswind, der einen stechenden Nachgeschmack hatte, so als wäre er durch die Gluthitze des August verbrannt worden.
    Plötzlich stürzte der halbe Strohhaufen auf ihn nieder und deckte ihn zu.
    Und so blieb er sitzen, regungslos, und fühlte, wie jeder Strohhalm, der sich auf seine Haut gesetzt hatte, ihn reinigte.
    Einmal, als er noch ein kleiner Junge war, hatte er genau das Gleiche gemacht, und seine Tante, die ihn nicht mehr finden konnte, hatte irgendwann nach ihm gerufen: »Salvo! Wo bist du, Salvo?«
    Aber das war nicht die Stimme seiner Tante, das war Adrianas Stimme, die ihn ganz in seiner Nähe rief!
    Er fühlte sich verloren. Nackt konnte er sich nicht blicken lassen. Was war ihm nur in den Sinn gekommen? Wieso hatte er diesen Einfall gehabt? War er verrückt geworden? War es die Gluthitze, die ihn dazu brachte, so einen Blödsinn zu machen? Und wie sollte er jetzt dieser lächerlichen Situation Herr werden? »Salvo? Wo bist du denn nur, Sal-«
    Mit Sicherheit hatte sie die Kleidungsstücke gesehen, die er auf die Erde geworfen hatte! Er merkte, dass sie näher kam.
    Sie hatte ihn entdeckt. Heilige Madonna, welch ein Bild! Er schloss die Augen in der Hoffnung, dass er unsichtbar würde. Er hörte, wie sie sich ausschüttete vor Lachen und dabei sicher ihren schönen Kopf in den Nacken warf, wie sie's schon im Kommissariat getan hatte. Sein Herz begann immer schneller zu pochen. Genau, jetzt noch einen sauberen Infarkt. Das wäre die ideale Lösung. Dann spürte er, stärker als das verdorrte Stroh, stärker als den Meereswind, den verwirrenden Duft ihrer sauberen Haut. Sie hatte geduscht. Adriana konnte nur noch ein paar Zentimeter von ihm entfernt sein.
    »Wenn du die Hand ausstreckst, geb ich dir deine Sachen«, sagte sie.
    Montalbano gehorchte.
    »Ich dreh mich jetzt um, sei ganz unbesorgt«, sagte sie noch.
    Nur dass sie, während er sich linkisch wieder anzog, weiterlachte und ihn damit demütigte.
    »Es ist spät geworden für mich«, sagte Adriana, als sie ins Auto stiegen. »Lässt du mich fahren?«
    Sie hatte verstanden, dass schnelles Fahren nicht Montalbanos Sache war.
    Während der Fahrt, die nicht lange dauerte, denn im Handumdrehen kamen sie auf dem Platz vor der Trattoria an, hatte sie ihre rechte Hand auf seinem Knie liegen und fuhr ausschließlich mit der linken. Lag es an dieser Art zu fahren oder an der Hitze, dass Montalbano schweißgebadet war?
    »Bist du verheiratet?«
    »Nein.«
    »Hast du eine Verlobte?«
    »Ja, aber sie lebt nicht in Vigàta. «
    Aber wieso war ihm das so herausgerutscht?
    »Wie heißt sie?«
    »Livia.«
    »Wo wohnst du?«
    »In Marinella.«
    »Gib mir deine private Telefonnummer.« Montalbano nannte sie ihr, sie wiederholte sie. »Gespeichert.«
    Sie waren angekommen. Montalbano öffnete die Wagentür. Sie ebenfalls. Sie standen sich gegenüber. Adriana legte ihre Hand auf seine Hüfte und küsste ihn leicht. »Danke«, sagte sie.
    Der Commissario sah sie mit Bedauern davonfahren.
    Er beschloss, nicht zum Kommissariat zu fahren, sondern direkt nach Marinella. Es war fast sechs, als er in der Badehose die Glastür öffnete, die auf die Veranda führte. Dort saßen zwei junge Männer und eine junge Frau, alle so um die zwanzig, und es war unverkennbar, dass sie sich über den Tag häuslich auf der Veranda eingerichtet hatten. Sie hatten dort gegessen und getrunken, sie hatten sich dort umgezogen. Am Strand waren an die zehn Leute, die noch die letzten Sonnenstrahlen genossen. Der Sand war mit Papierfetzen, Essensresten, leeren Schachteln und Flaschen übersät, kurz, ein richtiger Müllhaufen. Und zu einem Müllhaufen war auch die Veranda verkommen, auf dem Boden lagen Zigarettenstummel und Reste von Joints, Bier- und Coladosen. »Bevor ihr verschwindet, macht ihr alles sauber«, sagte er, als er die Treppe runter und zum Wasser ging. »Ja, aber erst machst du dir mal deinen Arsch sauber«, sagte einer der jungen Männer hinter ihm.

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