Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
Gatte nie auf der Ruy Barbosa angeheuert hatte.«
Signora Dolores erstarrte zur Salzsäule.
Sie stand vor Montalbano und Fazio, die in zwei Sesseln des Wohnzimmers saßen, und wollte ihnen gerade einen Espresso servieren. Ihr linker Arm verharrte auf halber Höhe, vielleicht hatte sie ihre Haare zur Seite streichen wollen, und der rechte Arm hing herab.
Für einen kurzen Moment hatte der Commissario den Eindruck, er würde vor einer Zuckerpuppenballerina sitzen, die fast immer spanische Tänzerinnen waren. Auch der Duft von Zimt, der augenblicklich stärker wurde, bestätigte diesen Eindruck. Ihn überkam eine unbändige Lust, die Zunge herauszustrecken und sie ein bisschen am Hals zu lecken, um die Haut zu spüren, die ganz fraglos mit Zucker überzogen war.
Dann kehrte Signora Dolores wieder ins Leben zurück. Sie sagte nichts und fuhr einfach mit den Bewegungen fort, die sie begonnen hatte. Sie strich die Haare zur Seite, die ihr in die Augen hingen, beugte sich vor, um den Espresso mit fester Hand in die beiden Tassen zu gießen, fragte, wie viel Zucker, gab ihn in die Tassen und reichte sie ihnen. Dann setzte sie sich aufs Sofa.
Montalbano schaute sie an: Sie hatte nicht die Farbe verloren, sie zeigte sich weder überrascht noch nervös, nur eine gerade und tiefe Falte zog sich horizontal über ihre Stirn. Sie wartete, bis die beiden Männer ihren Espresso getrunken hatten, bevor sie anfing zu reden.
»Sie erlauben sich doch keinen Scherz, nicht wahr?«
Nichts Dramatisches im Ton, keine vom Weinen gebrochene Stimme: eine einfache, leise Frage.
»Leider nicht«, sagte Montalbano.
»Was, glauben Sie, könnte mit ihm passiert sein?«, fragte sie im gleichen Ton, als würde sie über jemanden reden, mit dem sie nichts weiter zu tun hatte.
Signora Dolores war eine Frau aus Marmor oder auch aus Stahl, alles andere jedenfalls als ein Zuckerpüppchen! Allerdings eine Frau mit Widersprüchen: eine, die sich, wie eben jetzt, zu beherrschen wusste und sich gleichermaßen zu leidenschaftlichen Gesten hinreißen ließ, wie in dem Moment, als sie sich in seine Arme gekrallt hatte.
»Schauen Sie, die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass Ihr Mann untertauchen wollte.«
»Weshalb?«
»Weil Signor Camera mir gesagt hat, dass Ihr Gatte ihm ein paar Tage nach seiner nicht erfolgten Anheuerung eine Karte mit der Mitteilung zukommen ließ, er habe eine bessere Arbeit gefunden.«
»Das könnte doch eine Fälschung sein, so wie die Postkarte, die ich vor kurzem bekommen habe«, antwortete Dolores geistesgegenwärtig.
Sie war intelligent, das musste man sagen. Ihr Verstand funktionierte trotz des schweren Schlags, den sie soeben erhalten hatte.
»Deshalb will ich die Karte ja auch haben, sofern Signor Camera sie aufgehoben hat.«
»Warum kümmern Sie sich dann nicht darum?«
»Um die Sache in Angriff zu nehmen, brauche ich eine offizielle Vermisstenanzeige von Ihnen.«
»In Ordnung, das mache ich. Muss ich dazu zu Ihnen kommen?«
»Das brauchen Sie nicht. Fazio wird Ihre Anzeige gleich hier aufnehmen, wenn ich weg bin. Aber ich würde Sie gern noch etwas anderes fragen.«
»Ich auch.«
»Dann Sie zuerst.«
»Ach, bitte setzen Sie sich doch zu mir aufs Sofa, wenn Sie noch weitere Fragen haben. Ich kann nicht …«
Für eine millionstel Sekunde begegneten sich Fazios und Montalbanos Blicke. Dann kam Montalbano ihrer Bitte nach.
»Ist es so besser?«
»Ja, danke.«
»Haben Sie ein aktuelles Foto von Ihrem Mann?«
»So viele Sie wollen. Einige haben wir sogar erst wenige Tage vor seiner Abreise gemacht. Ich hatte ihn begleitet, weil er sich noch von einem Nennonkel verabschieden wollte …«
»Sehr gut, die zeigen Sie mir später. Ich suche dann eins aus. Jetzt muss ich noch einmal auf eine Frage zurückkommen, die ich Ihnen gestern schon einmal gestellt habe und die Ihnen mit Sicherheit unangenehm sein wird, aber …«
Dolores hob eine Hand und legte sie ihm aufs Knie. Sie war glühend heiß und zitterte, wenn auch nur ganz leicht. Offensichtlich begann sie jetzt erst die eigentliche Bedeutung dessen zu erfassen, was der Commissario ihr sagen wollte. Und es kostete sie sichtlich Mühe, Haltung zu bewahren.
»Aus dem Brief, den Sie mich freundlicherweise haben lesen lassen, ging deutlich hervor, dass die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Gatten von ungewöhnlicher, wie soll ich sagen, Intensität war, oder?«
Fazio blickte schlagartig von seinem Notizbuch auf, das er auf einem Schenkel liegen hatte,
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