Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
vermutlich nicht richtig um das Kind gekümmert, ich konnt ja kaum für mich selbst sorgen. Na, na …« Sie streichelte Lissie über die Backe, über die gerade eine Träne kollerte, und schaute sich in ihrer Küche um, als sähe sie die alten Möbel zum ersten Mal. »Ich bin dann einfach hiergeblieben, wo ich mit dem Luis ein paar Wochen gelebt hab. All die Jahre …« Ihre Stimme versickerte.
Verlegen schaute sich auch Pavarotti in dem Raum um, dann räusperte er sich. »Wer führt Ihnen denn den Hof und die Wirtschaft?«
»Den Betrieb hab ich schon lang verpachtet«, sagte Frau Loipfertinger. »Wissen S’, ich hab den Luis oft gehört, und hab dann nach ihm gerufen. Das fanden die Leut ein bisschen unheimlich, und besonders die Kinder haben sich gefürchtet. Es kamen immer weniger Gäst zu mir hoch ins Gasthaus. Da hab ich dann nicht mehr selbst bedient, sondern bin im Haus geblieben«, erzählte sie. »Auch heut hör ich den Luis plötzlich oft irgendwo im Haus oder draußen im Hof. Er ruft jetzt immer häufiger nach mir.« Dann lächelte sie: »Ich denk, bald werd ich den Luis auch sehen können. Dann ist’s endlich vorbei.«
Mittlerweile stand die Sonne schon ziemlich tief. Die Loipfertingerin erhob sich und schaute aus dem Fenster in Richtung Berg. »Ein Wetter ist im Anzug. Außerdem ist es spät. Ihr kommt heut nimmer runter ins Tal.«
Pavarotti wollte protestieren, doch die alte Frau gab nicht nach. »San S’ net damisch. Ihre Verbrecher können S’ auch morgen noch fangen. Aber nicht, wenn S’ vorher vom Blitz erschlagen werden, gell?«
Pavarotti musste zugeben, dass da etwas dran war. Auch Lissie war einverstanden.
Immer noch leichtfüßig, trotz ihres Alters, stieg die Loipfertingerin den beiden voran, mit zwei Zimmerschlüsseln bewaffnet, in den ersten Stock hinauf.
* * *
Es wurde immer dunkler. Tintenblaue Wolkenberge quollen bedrohlich hinter den Bergen hervor. Doch das Unwetter ließ sich Zeit, als wolle es den Genuss, sich über Meran zu entladen, noch ein wenig hinauszögern.
Nachdem Lissie und Pavarotti eine windgeschützte Bank hinter der Alm entdeckt hatten, beschlossen sie, noch ein wenig an der frischen Luft zu bleiben, so lang eben, wie der Regen noch auf sich warten ließ. In Decken eingekuschelt tranken sie Bier und Roten und kauten auf ein paar geräucherten, herrlich duftenden Kaminwurzen herum. Die alte Frau war zu Bett gegangen, nicht ohne ihre beiden Gäste ein halbes Dutzend Mal zu ermahnen, auch ganz bestimmt die Tür sorgfältig hinter sich zu verriegeln, bevor sie nach oben gingen.
Lissie und Pavarotti schauten in die zunehmende Dämmerung hinaus und schwiegen.
Pavarotti nahm einen Schluck Bier. Es schmeckte abgestanden. Ihm war nicht gut. Kriegte er vielleicht eine Darmgrippe?
Neben ihm biss Lissie mit einem knackenden Geräusch in eine besonders harte Kaminwurz, gefolgt von einem lang gezogenen Schmatzer, als sie vergeblich versuchte, die Wurst aus ihrer Hülle zu ziehen. Pavarotti konnte nicht anders, er musste prusten vor Lachen. Plötzlich zog sich die Übelkeit zurück. Lissie schaute ihn konsterniert an und tippte sich an die Stirn.
Bevor er darauf etwas sagen konnte, kam sie ihm zuvor. »Das erklärt ja wohl das viele Geld, das die Felderers angehäuft haben, oder nicht?«, meinte sie kauend. »Mit dem Blutgeld der Italiener hat Felderer senior den Grundstein für den Wohlstand der Familie gelegt. Und sein geschäftstüchtiger Sohn hat dann halb Meran aufgekauft und ein Vermögen draus gemacht. Pfui Teufel!«
Pavarotti nickte. »Kann sein. Was ich mich aber schon die ganze Zeit frage: Warum wollten die Felderers jetzt eines der Sahnestücke in den Lauben, eine ihrer wertvollsten Immobilien, verkaufen? Warum nicht einfach verpachten? Warum trieb der alte Felderer nach der Ermordung seines Sohnes den Deal weiter voran, geradezu pietätlos, als ob überhaupt nichts passiert wäre? Mir kommt das wie eine Verzweiflungsaktion vor. Vielleicht wird dringend Geld gebraucht? Wir müssen uns unbedingt um die Finanzen der Familie kümmern. Vielleicht haben die sich mit irgendetwas verspekuliert?«
»Möglich.« Lissie zuckte mit den Schultern und fing wieder mit ihrem Lieblingsthema an. »Kirchrather hängt in der Angelegenheit irgendwie mit drin«, sagte sie mit Nachdruck. »Der wollte mir weismachen, der Verräter sei längst tot. Ich wette, er hat genau gewusst, dass es der Emil Felderer ist.«
»Mag ja sein, aber der wollte bloß nicht, dass du die ganze
Weitere Kostenlose Bücher