Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Fleischgerichte serviert, eben nicht nur Schweinsbraten, Geselchtes und Brotzeiten wie vorn.
Pavarotti schaute auf ein Zeitungsfoto, das ihm Emmenegger vorhin in die Hand gedrückt hatte. Ein schmächtiger, zu kurz geratener Kerl stand vor einem Schaufenster mit Schuhen in der Auslage und gestikulierte mit Armen, die viel zu lang für ihn waren. »Niedermeyer im Interview zum 100-jährigen Firmenjubiläum«, hieß es in der Unterzeile. Pavarotti blickte sich suchend um. Unmittelbar ihm gegenüber, an einer der Längsseiten des rechteckigen Gartens, saß der Mann auf dem Foto. Niedermeyer lehnte mit dem Rücken am Flachbau, der die Küche des Forstbräu beherbergte. Die Eingeweihten wussten, dass es dort auch an kühlen Tagen schön warm war.
Der Schuhhändler saß einfach da und starrte in Pavarottis Richtung. Er bemerkte den Commissario sofort. »Polizei? Ich hatte Sie eigentlich schon gestern erwartet«, begrüßte er Pavarotti in einem beinahe vorwurfsvollen Ton.
Pavarotti schwoll der Kamm. Wie kam der Kerl dazu, ihm Schlamperei zu unterstellen? Seiner Verärgerung zum Trotz ließ er sich ruhig auf einen der kleinen Eisenstühle niedersinken, der sein breites Gesäß leider nur unvollständig aufnahm. »Wir verfolgen nun einmal viele Spuren«, antwortete er vage.
Niedermeyer grinste. »Wenn man Kirchrather glauben darf, verfolgt ihr gar keine Spur und tappt vollkommen im Dunkeln. Na egal, ist nicht mein Problem. Womit kann ich dienen?«
Pavarotti spürte, wie die Wut erneut in ihm hochstieg. Wie hatte ihn der Kerl eigentlich erkannt? Waren er und sein Leibesumfang bereits Stadtgespräch, über das sich alle lustig machten?
Nur mit erheblichen Schwierigkeiten kämpfte er den Drang nieder, Niedermeyer einen Kinnhaken zu verpassen. Was sein Exschwager Albrecht, von dem er wusste, dass er mit Niedermeyer befreundet war, bloß an diesem großspurigen Winzling fand?
Mit Mühe fand er in seine Befragung zurück und bemühte sich um einen möglichst emotionsfreien Ton. »Ihre Verkäuferin hat mich darüber informiert, dass ich Sie hier finde, angeblich um Mittagspause zu machen. Reichlich seltsam um diese Zeit, oder nicht?«
Niedermeyer lachte schallend. »Meine Verkäuferin? Ich hab ja gar keine. Sie werden wohl mit meiner Frau gesprochen haben. Die hat einfach keinen Schneid, immer muss sie alles unter den Tisch kehren. Von wegen Mittagspause. Wir haben uns gestritten, und da bin ich einfach abgehauen.«
»Worum ging es denn?«, erkundigte sich Pavarotti.
»Ich wüsste zwar nicht, was Sie das angeht. Aber meinetwegen, wenn Sie unbedingt Ihre Nase in fremde Angelegenheiten stecken wollen. Meine Frau wird mit jedem Tag fahriger und nervöser. Im Geschäft ist mit ihr kaum noch etwas anzufangen. Heute war sie völlig durch den Wind, brachte Kunden ständig falsche Ware. Am Nachmittag ist mir dann der Geduldsfaden gerissen. Ich hab sie angebrüllt, sie hat geheult, und ich bin raus.«
Niedermeyer strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Keine Ahnung, was mit der los ist. Weiber. Ich hoffe, sie beruhigt sich wieder, sonst muss ich sie aus dem Laden nehmen und einen Verkäufer anstellen.« Er hob den Kopf. »War’s das, oder gibt’s neben meinen Eheproblemen sonst noch Fragen?«
Die Frau hatte Pavarottis tiefstes Mitgefühl. Laut sagte er: »Die Renzingerin hat ausgesagt, dass Sie am Abend des Mordes in ihrer Weinstube mit einem anderen Gast getrunken haben. ›Was Italienisches‹, wie sie sich ausgedrückt hat. Wer war das?«
Niedermeyer zuckte mit den Schultern. »Gesprochen hab ich an dem Abend mit vielen. Wir hatten am Nachmittag Verbandstreffen beim Laubenwirt, wegen Karl Felderer und seiner Verpachtungspolitik. Da ging’s hoch her. Und am Abend, beim Wein, da hatten sich die meisten von uns noch ganz und gar nicht beruhigt.«
»Wer war denn abends da, so zum Beispiel?«
»Also ich erinnere mich, dass der Laubenwirt selbst, der Achleitner, kurz hereingeschaut hat. Das war früh, so um acht. Und dann kam auch der Aschenbrenner mal kurz zu mir herüber, der den alten Elektroladen hat. Der Aschenbrenner ist dann aber auch schon kurz nach acht wieder raus. Mit dem Advokaten Tscholl hab ich noch gesprochen.« Niedermeyer grinste. »Na ja, gesprochen kann man das nicht nennen. Der Tscholl war schon wieder völlig besoffen. Die Renzingerin musste ihren Bruder holen, der hat ihn dann hinauskomplimentiert. Das war wahrscheinlich gegen neun, genau weiß ich es nicht mehr.«
»Alle aber offensichtlich keine
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