Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Als sie die Fotosammlung auf dem Kaminsims betrachtete, entfuhr ihr ein Überraschungslaut.
Kirchrather sah auf. »Was ist denn?«
»Da ist ja mein Opa!«, entfuhr es ihr.
Kirchrather nickte, lächelte. »Ja, das ist Ihr Großvater. Der neben ihm, das ist Jörg Klotz. Die zwei haben sich in den Wirren zum Ende des Zweiten Weltkriegs kennengelernt und sind Freunde geworden.«
»Wer ist denn dieser Klotz?«, fragte sie unvorsichtigerweise.
»Das wissen Sie nicht, obwohl Ihr Großvater Ihnen angeblich so viele Dokumente aus dieser Zeit hinterlassen hat und Sie begonnen haben, sein Leben aufzuarbeiten?«, staunte Kirchrather. Er lächelte nicht mehr, und seine Augen hatten wieder den kalten Glanz von vorhin.
Lissie hätte sich ohrfeigen können. Sie hätte das in der Bibliothek kopierte Buch unbedingt vor diesem Treffen gründlich durcharbeiten müssen, anstatt nur zwanzig Seiten querzulesen. Für diese Einsicht war es nun zu spät. Jetzt half nur noch Pokern. Sie machte ein zerknirschtes Gesicht.
»Nun, ich stehe ja noch ganz am Anfang mit meinen Recherchen und habe mich erst einmal auf die politische Großwetterlage gestürzt, damit ich die Ereignisse in Südtirol richtig einordnen kann. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man sich in Details verliert.« Und jetzt Augen zu und durch, Lissie. »Deswegen bin ich ja hier. Damit Sie mir die richtigen Fingerzeige geben können, welche Leute in der Zeit für meinen Opa wichtig waren.«
Kirchrather nickte langsam. »Aha. Nun gut. Was genau wollen Sie denn wissen?«
Lissie holte tief Luft. »Also, dieser Andi, welche Rolle kann der damals gespielt haben? Es gibt ja keine Archive, in denen ich nachschlagen kann. Dieser Befreiungsausschuss, das ist ja wohl kein straff durchorganisiertes Gebilde gewesen. Welcher der Gruppen könnte er denn angehört haben?«
Kirchrather ließ sich hinter dem Schreibtisch in seinen Lehnsessel zurücksinken. »Keine Ahnung, da gab es so viele. Die Pusterer Buben, die Stieler-Gruppe, die von Sepp Mitterhofer in Meran …« Seine Stimme verlor sich. Dann setzte er neu an. »Wissen Sie, der Widerstand hatte eine ganz breite Zustimmung damals. Die Sehnsucht nach Selbstbestimmung ist bei uns immer stärker geworden, besonders während der Nazizeit. Stellen Sie sich das mal vor: Wir hatten nur die Wahl, entweder ins Deutsche Reich auszuwandern und damit die Heimat im Stich zu lassen oder uns total in den italienischen Staat eingliedern zu lassen. Das habt ihr Deutschen uns damals eingebrockt. Damit habt ihr unsere Volksseele tief verwundet, wenn ich das mal so blumig sagen darf.«
In Lissie wallte der Zorn hoch. Sie hatte doch mit den Nazis nichts zu tun! Kirchrather tat es schon wieder. Wie bei Pavarotti versuchte der Alte, sie mit Hilfe ihrer Nationalität ins Unrecht zu setzen, damit er im Gespräch Oberwasser bekam. Na warte.
»Ja, aber nach dem Krieg gab es doch ein Autonomiestatut für die Südtiroler«, sagte sie scheinheilig. »Ihnen und Ihren Landsleuten schmeckte das Statut anscheinend nicht. Vielleicht zu Recht, mag ja sein, aber wäre es nicht besser gewesen, mit den Italienern zu verhandeln, anstatt Bomben zu legen?«
Der Alte fuhr hoch. Kaum verhüllt blitzte in seinen Augen der nackte Hass auf. »Hören Sie auf! Ihr Großvater hätte sich für Sie geschämt. Wir hätten nie etwas erreicht ohne die massive Unterstützung durch den Untergrund!«
Aber Lissie ging auf die Provokation nicht ein. Betont gelassen antwortete sie: »Was wollen Sie, es stimmt doch, was ich sage. Der italienische Ministerpräsident De Gasperi und der österreichische Außenminister Gruber haben nach dem Krieg ein Autonomiestatut für Südtirol unterzeichnet. Die deutschsprachigen Einwohner von Bozen und Trient erhielten volle Gleichberechtigung mit den italienischen Einwohnern. Zum Schutze der Südtiroler Kultur, ihrer Wirtschaft und ihres Volkscharakters. Hört sich doch ganz vielversprechend an, oder?«
Der Alte lachte meckernd. »Ja, ja, und eine autonome, regionale Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt und die Gleichstellung der italienischen mit der deutschen Sprache und die Gleichberechtigung in öffentlichen Ämtern, und, und, und.« Kirchrather schnaubte. »Die reinste Augenwischerei. Das ganze sogenannte Autonomiestatut war noch nicht mal das Papier wert, auf dem es gedruckt war. Die Italiener haben diesen Vertrag, wann immer es ging, zu ihren Gunsten ausgelegt. Und wir Südtiroler mussten machtlos zusehen.«
»Eins müssen Sie zugeben«,
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