Con molto sentimento (German Edition)
notwendige Prozedur. Nur, dass er es selbst machen musste, anders als die Pianisten. Zugegeben, so ein Konzertflügel hatte auch mehr als vier Saiten. Vorsichtig drehte er an dem Wirbel der g-Saite, sie musste immer etwas straffer gespannt sein wie er aus mehrjähriger Erfahrung wusste. Er spielte mit dieser Violine immerhin schon seit er sechzehn war. Sie war ein Geschenk seines Onkels gewesen.
»Nun, von mir aus können wir beginnen.«
Als Claude diese Stimme hörte, zog er vor Schreck den Wirbel viel zu fest an, was das filigrane Holz zu einem protestierenden Knarren veranlasste. Schnell verringerte Claude die Spannung auf der Saite bevor noch etwas zu Bruch ging und blickte auf. Dort unten vor der Bühne stand der wohl zur Zeit erfolgreichste, begabteste und attraktivste Konzertpianist der Welt: Federico Batist.
»Was zur Hölle...!«, murmelte Claude atemlos.
Nein, Federico sah nicht so aus, wie man sich gemeinhin einen Pianisten vorstellte: Alt, grauhaarig und einen eingestaubten, schlecht sitzenden Frack tragend. Oh nein, nichts von alledem. Federicos blonde Mähne war wieder einmal im aktuell angesagten Schnitt gestylt. Er hatte die perfekte Balance getroffen; man sah der Frisur nicht an, wie lange er dafür wohl vor dem Badezimmerspiegel gestanden hatte, um dieses sorgfältige Arrangement zu kreieren. Federicos Körper wirkte noch so athletisch und schlank wie ihn Claude in Erinnerung hatte. Auch wenn Federico nicht gerade großgewachsen und mit breiten Schultern ausgestattet war, strahlte er eine Autorität aus, die man einem viel größeren, kräftiger gebautem Mann zugetraut hätte. Das war neu.
Claude kannte Federico schon seit mehreren Jahren, sie hatten zusammen eine Bude im Wohnheim geteilt, so lange bis Federico sein Studium hatte aufgeben müssen. Damals, als Federico auch Alexis kennen- und lieben gelernt hatte.
Federico war damals zwar auch schon ein äußerst talentierter Musiker gewesen, doch hatte es ihm auch an Selbstbewusstsein gemangelt. Nicht auf dem Gebiet der Musik, aber in Bezug auf seine Persönlichkeit, sein Auftreten gegenüber den Professoren und Kommilitonen.
Heute konnte Federico vor einem ganzen Orchester mitsamt Dirigent stehen und mit nur einem Satz sie alle dazu bringen sich binnen kürzester Zeit bereit für die nächsten Proben zu machen.
Vielleicht war es die Entdeckung seiner wahren Sexualität gewesen, die Federico so verändert hatte? Oder der Einfluss von Alexis, seinem Partner? Oder doch Federicos Erkrankung, die ihn gezwungen hatte sein Studium hier in Genf aufzugeben? Federico war als der aufstrebende Nachwuchspianist Europas gehandelt worden, nachdem jedoch bekannt geworden war, dass er an einer chronischen Sehnenscheidenentzündung – auch noch an beiden Händen - litt, hatten ihn alle abgeschrieben. Wahrscheinlich sogar Federico sich selbst. Ohne Zweifel war es Alexis und dessen Familie gewesen, die Federico in dieser Zeit Rückhalt und Stärke gegeben hatten, so dass Federico schließlich wieder als Konzertpianist arbeiten konnte.
So eine Krankheit, die Operationen und die Rehabilitation ließen einen Menschen nicht unverändert. Doch Claude, der diese Veränderungen bei Federico hautnah hatte verfolgen können, wusste selbst nicht, was genau der ausschlaggebende Faktor gewesen war. Wahrscheinlich war es, wie so oft im Leben, ein Zusammenspiel aus allem.
Professor Noblet war an Federico herangetreten und schüttelte ihm die Hände, dann stellte er Claude vor.
»Nicht nötig, Monsieur Noblet. Claude und ich kennen uns schon seit mehr als zehn Jahren«, Federico grinste und Claude erwiderte das Grinsen mit einem Kopfschütteln.
»Wir haben zusammen im Wohnheim gewohnt«, erklärte Claude, legte seine Violine vorsichtig beiseite und sprang zu Federico hinab, der noch immer vor der Bühne neben dem Flügel stand. Sie umarmten sich herzlich, was bei so manchen Musikern überraschte und befremdliche Blicke auslöste.
»Du siehst gut aus«, raunte Claude, aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er wie Izumi sich zu einem Musiker umdrehte, bestimmt, um irgendeine Nettigkeit auszutauschen. Claude fragte sich, wie es wohl ankommen würde, wenn er Federico einfach so küssen würde. Dann hätten sie etwas zum Tratschen!
»Du hast dich selbst auch gut gehalten«, gab Federico, ebenso leise, zurück. Dann kehrte jeder wieder auf seinen Platz zurück. Federico genoss sichtlich die Überraschung, die er
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