Con molto sentimento (German Edition)
Izumi, die alte intrigante Schwester, hatte er kurzerhand zum Mitglied der ersten Geigen befördert. Der Junge war ja auch nicht schlecht, zumindest war das die offizielle Version. Insgeheim hoffte Claude, dass Izumi etwas weniger tratschen und damit aufhören würde, jedem unter die Nase zu reiben, dass Claude den Job nur bekommen hatte, weil er Stéphanes Matratze gewesen war.
Claude hatte immer geglaubt, dass er gut mit Menschen umgehen könnte, doch mittlerweile war er sich da nicht mehr so sicher. Er hätte seine Musiker besser im Griff haben sollen und Professor Noblet hätte dann mit Sicherheit sie nicht alle dazu verdonnert das Wochenende am Konservatorium zu verbringen und dort weitere Übungsstunden abzuhalten. Was nicht unbedingt dazu beitrug Claudes Beliebtheit, sowohl bei ihrem Professor als auch bei den anderen Musikern, zu steigern. Inzwischen glaubte sich Claude sogar eher in eine Folge von Denver-Clan hineinversetzt. Dieses Tuscheln und Gerede und... Nein, es war keine gute Idee gewesen gestern Abend sich einem Denver-Clan-Marathon hinzugeben, wie Claude nun feststellte. Eine gewisse Linie war überschritten, wenn er anfing sich mit Alexis Colby zu vergleichen, das alte Biest aus diesem Serienklassiker. Aber was sollte er auch tun, wenn ihm seine Mutter bei ihrem monatlichen Fresspaket – sie hielt eisern an dieser Tradition fest – die gesamte DVD-Kollektion mitversandt hatte. Sein Vater hatte es wahrlich nicht leicht, die Mutter und der Sohn waren geradezu abhängig von TV-Soaps.
Eigentlich könnte er heute Abend sich die nächste DVD reinziehen, dachte Claude während er sich am Getränkeautomaten eine eisgekühlte Cola holte. In wenigen Minuten würden die Proben weitergehen. Mit einem genießerischen Seufzen presste er sich das kühle Plastik der Flasche an die Stirn. Es war verdammt heiß hier in Genf und sie steuerten auf einen Rekordsommer zu. Es war also kein Wunder, dass die wenigsten Mitglieder des Orchesters motiviert zu weiteren Probenstunden waren. So nötig es auch sein mochte.
Als Claude den Konzertraum betrat, spürte er sofort die Spannung, die in der Luft lag: Die Gespräche der anderen Studenten, die mit einem mal merklich gedämpfter abgehalten wurden. Vielleicht waren es auch die markigen Worte von Professor Noblet gewesen, mit denen er sie in die Pause entlassen hatte. Oder gab es eine weitere Hiobsbotschaft was ihre Konzerttournee anging? Sie hatten noch immer nicht erfahren, ob und wen das Konservatorium als Ersatz für den abgesprungenen chinesischen Pianisten engagiert hatte. So gesehen war es auch kein Wunder, dass die Musiker nicht zu motivieren waren, wenn sie alle nicht einmal wussten, ob die Tournee überhaupt zustande kam. Wer investierte schon gerne Zeit in ein Projekt, das womöglich von vornherein zum Scheitern verurteilt war? Eben: Niemand.
Überrascht stellte Claude fest, dass die Techniker in der Pause einen Flügel vor der Bühne aufgestellt hatten. War etwa ihr Pianist doch noch eingetroffen? Oder spielte jemand der hiesigen Studenten der Klavierklasse für die heutigen Proben die Soloparts?
›Zumindest muss es ein recht kurzfristiges Arrangement sein‹, befand Claude, während er sich auf seinen Platz in der ersten Reihe des Orchesters setzte und die Noten aufschlug. Normalerweise stand der Flügel während eines Klavierkonzerts neben dem Dirigenten, direkt vor den ersten Geigen. Dass die Techniker das geradezu monströse schwarze Instrument vor die Bühne gestellt hatten, zeigte, dass es nur ein Provisorium war. Aber es war sogar einer der Klavierstimmer herbeizitiert worden, der sich hektisch daran machte das Instrument herzurichten. Da schien wirklich etwas im Gange zu sein. Für einen gewöhnlichen Studenten der Klavierklassen würden sie nicht extra den örtlichen Vertreter des Steinway-Hauses herbeirufen damit er den Flügel stimmte.
Professor Noblet stand am Dirigentenpult und blätterte durch die Partitur, seine Stirn war tief gefurcht. Besser Claude sprach ihn jetzt nicht an, auch wenn es ihn buchstäblich in den Fingern juckte zu erfahren, was denn nun los war.
Izumi stupste ihn auch schon auffordernd mit seinem Geigenbogen an und Claude warf ihm nur einen warnenden Blick zu.
Das gedämpfte Gemurmel der übrigen Studenten verstummte kurzfristig, Claude maß dem keine Beachtung bei und nahm seine Violine aus dem Kasten, den er unter seinem Stuhl verstaut hatte. Auch er musste sein Instrument stimmen, eine
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