Con molto sentimento (German Edition)
ersten Schritt Claude überlassen. Das hatte Claude doch in der Vergangenheit gut gekonnt. Er hatte doch immer die Initiative ergriffen. Warum konnte er es jetzt nicht auch tun?
»Ich habe hier gleich um die Ecke ein Zimmer«, eröffnete Claude, als sie auf die Hauptstraße hinaustraten.
»Okay«, Patrice stockte. »Claude, ich...« Wieder hielt er inne.
»Wir könnten doch noch einen Cocktail trinken gehen. Immerhin hast du doch etwas zu feiern, oder?« Patrice meinte, dass das Konzert doch gut für Claude gelaufen war. Die Stimmen der Konzertbesucher waren allesamt positiv gewesen, soweit Patrice das mitbekommen hatte. Er selbst war restlos begeistert gewesen. Sein Urteilsvermögen war jedoch eindeutig verzerrt und zählte besser nicht.
»Nein, keinen Cocktail, aber danke für die Einladung. Ich hatte in den vergangenen Stunden genügend Leute um mich herum und ich war ja nicht gerade zum Vergnügen heute Abend hier«, beeilte sich Claude zu versichern, als ihm wohl Patrices Enttäuschung auffiel.
»Das verstehe ich. Ahm, möchtest du auf dein Zimmer gehen?« Patrice gab sich alle Mühe seine Stimme möglichst neutral klingen zu lassen. Dieser Korb ging ihm nahe. Er wollte Claude jetzt nicht loslassen und wollte bei ihm sein.
»Was für eine Möglichkeit gebe es denn sonst?«
»Gehen wir zu mir.« Patrice hielt die Luft an.
»Patrice.« Claude atmete tief durch und schulterte seine Tasche. Er schien sich etwas unbehaglich zu fühlen.
»Es sind sieben Jahre«, bemerkte Patrice in die Stille hinein, als sie beide unschlüssig auf dem Gehsteig verharrten.
»Ich weiß«, gab Claude zurück und das Lächeln verschwand. Was Patrice nun sah war die pure Ehrlichkeit, kein aufgesetztes Lachen, das für die Fotografen oder sonst wen bestimmt war. Claudes Gesicht zeigte eine Spur von Angst – noch immer hatte er wohl Angst sich fest zu binden – aber auch gespannte Erwartung.
»Das heißt nein, es sind noch nicht ganz sieben Jahre«, korrigierte Claude. »Ich habe erst kürzlich nachgerechnet.«
›Er hat was getan?‹ Patrices Herz schlug bei diesen Worten regelrecht Purzelbäume. Hieß das, dass er Claude nicht so gleichgültig war, wie er befürchtet hatte?
Ein Auto fuhr neben ihnen durch eines der Schlaglöcher und sendete einen Schwall Wasser in ihre Richtung. Es hatte in der letzten Stunde geregnet. Claude fluchte und gab eine französische Nettigkeit von sich. Den Frack würde man jetzt reinigen müssen. Aber es brach den Bann zwischen ihnen.
»Mein Auto steht gleich dort drüben.« Patrice deutete auf den Parkplatz. ›Mein Auto‹, ja ein bisschen stolz war er darauf schon. Genau genommen war es ja nicht sein Auto, sondern das der Firma, aber da gehörte auch schon etwas dazu, dass man in seinem jungen Alter einen Firmenwagen zugestellt bekam.
Claude zögerte noch, er schien regelrecht mit sich zu ringen. Beinahe so, als ob er noch nie zuvor einen Mann in dessen vier Wände begleitet hätte. Es war merkwürdige ein derartiges Verhalten bei niemand anderem als Claude Debière zu beobachten. Aber dann nickte der angehende Dirigent.
Keine Viertelstunde später betraten sie Patrices Wohnung.
»Die Dusche ist da hinten«, murmelte er. Jetzt, aus heiterem Himmel, von einem Augenblick auf den anderen, fühlte er sich so schrecklich beklommen, gehemmt. Als ob es das erste Mal wäre, dass er einen Mann hier in der Wohnung hätte. Was bei weitem nicht der Fall war.
Jedoch war es auch nicht irgendein Mann, es war Claude! Sein Claude war endlich hier. Wie lange hatte er darüber fantasiert? Patrice stand im Flur seiner Wohnung und blickte in das Schlafzimmer, auf das Bett. Unwillkürlich stellte er sich Claude zwischen den weißen Laken aus ägyptischer Baumwolle vor. Schnell wandte er sich ab und suchte im Kleiderschrank nach ein paar Klamotten für den Gast. Eine bequeme Hose, ein Shirt. Er legte es vor der Badezimmertür ab. Das Zimmer zu betreten während sich Claude unter der Dusche befand war undenkbar, wenn auch verlockend!
Beim besten Willen konnte Patrice nicht stillhalten und so ging er von der Küche in sein Wohnzimmer, dann wieder in das Arbeitszimmer zurück. Schließlich stellte er sich an das große Flügelfenster im Wohnzimmer und lauschte auf die Geräusche aus dem Bad. War Claude nicht bald mal fertig mit duschen?
Wie mochte dies alles auf Claude wirken?, fragte er sich. Wie sah ihn Claude nach all den Jahren?
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