Con molto sentimento (German Edition)
dort auf der Hochzeit erwarten würde. Zum Glück hatte er sich erneut den Anzug von Claires Bruder ausleihen können, denn was hätte er denn sonst anziehen sollen? Claire war auch so nett gewesen mit ihm noch die Grundschritte des Walzers durchzugehen und zu üben, damit sich Patrice nicht komplett blamierte. Wobei er nicht wusste, mit wem er überhaupt dort tanzen sollte. Aber besser man war auf allen Fronten vorbereitet. Apropos Vorbereitung, er war auch in einer Drogerie gewesen, hatte Gleitmittel und Kondome besorgt. Es war zwar hochnotpeinlich gewesen und die Kassiererin hatte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen gemustert, aber trotz allem notwendig.
Ja, alles hätte so schön sein können, wenn nicht dieser verdammte Brief am Mittwoch in der Post gelegen hätte. Patrice musste sich setzen, als er die Adresse des Absenders auf dem Umschlag entzifferte. Das Schreiben war von der Polizei. Patrice konnte sich denken, welche Angelegenheit hier zu Grunde lag. Claude durfte es nicht erfahren, zu dieser Einsicht war Patrice auch in den letzten Tagen gelangt. Er und Claudes Beziehung wurde immer tiefer, aber sie war noch nicht so gefestigt, dass ihre zarten Bande solch eine Belastung aushalten würde. Zumal Patrice ja genau wusste, dass Claude ihm nie verziehen würde. Immer wenn Patrice auf den Vorfall und die Schlägerei angespielt hatte, hatte sich Claude unversöhnlich und unerbittlich gezeigt. Diese Schwulenklatscher mussten ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, das hatte Claude immer wieder betont.
Was konnte nun also die Polizei von Claude wollen? Patrice drehte den unscheinbaren, grauen Umschlag in den Händen. Wenn er sowieso vorhatte den Brief verschwinden zu lassen – dies war wohl das Beste - dann konnte er ihn auch öffnen.
Es war eine Vorladung auf das Revier zu kommen. Anscheinend wollten die Beamten diverse Videoaufnahmen von Überwachungskameras mit Claude ansehen. Patrice schluckte, das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut.
Er zwang sich ruhig zu bleiben. Nein, man konnte ihn gar nicht erkennen. Die Jacke, die er an jenem Abend getragen hatte, war von ihm in einem Mülleimer in der Nähe des Messezentrums entsorgt worden. Mit Sicherheit war sie inzwischen in einer Verbrennungsanlage gelandet oder auf einer Mülldeponie. Außerdem hatte er einen Kapuzenpullover angehabt, man sollte sein Gesicht nicht sehen. Wie hochauflösend waren überhaupt diese Kameras? Aber natürlich kam es auch darauf an, wo die Überwachungsapparate angebracht gewesen waren. Patrice konnte sich an keine Kameras erinnern. Frustriert rieb er sich die Stirn und fuhr sich durch die Haare. Vielleicht wäre es doch besser, wenn er gegenüber Claude seine Beteiligung an der Sache beichten würde... Aber nein! Dann wäre zwar sein Gewissen erleichtert, aber um welchen Preis! Und er wollte Claude nicht verlieren.
Die Zugfahrt dauerte knapp fünf Stunden. Zusammen mit der Tatsache, dass Claude und Federico noch relativ geschafft von ihren Konzerten waren, wunderte es Patrice nicht, dass die beiden bereits schliefen, als der Schnellzug Genf verlassen hatte. Sie hatten glücklicherweise ein Sechserabteil für sich alleine und der Zug war recht leer, sodass sich kein anderer Passagier zu ihnen gesellte. Patrice selbst könnte auch noch eine Mütze Schlaf vertragen. Die gesamte Nacht hatte er sich den Kopf zerbrochen was er unternehmen sollte. Aber er konnte ja Claude jetzt auch schlecht den Brief geben, wo er ihn bereits geöffnet hatte. Wie sah das denn aus? Das machte ihn doch gleich verdächtig. So hatte er den Brief heute Morgen noch zerrissen und entsorgt. Nicht, dass ihn seine Mutter zufällig beim Saubermachen fand.
Seine Mutter glaubte übrigens er würde Claire auf einer Feier begleiten. Seine arme Mutter. Sie hielt Claire wohl für seine Freundin und hatte ihn bereits gefragt, wann er sie denn einmal mit nach Hause nehmen wollte. Aber er konnte ihr doch auch schlecht beichten, dass er mit Claude unterwegs war. Was würde sie da wohl denken? Nun ja, sie würde denken, dass nun auch Patrice schwul war und immerhin dies war ja korrekt. Jedoch fühlte sich Patrice noch nicht bereit für die Konsequenzen. Vielleicht, wenn er Glück hatte, verkraftete es seine Mutter noch einigermaßen gut. Aber was war mit seinem Stiefvater und was war mit Luc! Sein herzallerliebster Halbbruder würde ihm fraglos das Leben zur Hölle machen!
Mit Bestimmtheit verdrängte Patrice weitere düstere
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