Conan-Saga 27 - Conan der Prächtige
Bogen auf ihn gerichtet, bis er zwischen
den Büschen verschwunden war. Dann atmete sie laut aus und hängte den Bogen an
den Ständer zurück. Gedanken, die sie sich lange verboten hatte, ließen sich
nicht mehr verdrängen.
Lord Karentides, ihr Vater, war
General der zamorianischen Armee gewesen und der letzte Sproß eines uralten
Geschlechts. Bei einem Feldzug an der brythunischen Grenze erwählte er sich
seine Frau aus den Gefangenen: Camardica, hochgewachsen und grauäugig, die
behauptete, Priesterin zu sein. Daran war nichts Außergewöhnliches, denn
zamorianische Soldaten verliebten sich häufig in die schönen brythunischen
Gefangenen, deshalb waren in Zamora brythunische Sklavinnen auch zahlreich.
Aber Karentides ehelichte Camardica und nahm es auf sich, daß man ihn von da an
mied.
Jondra erinnerte sich an seine
Leiche und an die – jener Frau, als sie aufgebahrt lagen, nachdem sie an dem
Fieber gestorben waren, das so viele damals in der Stadt dahingerafft und
keinen Unterschied zwischen Edlen und Bettlern gemacht hatte. Sie war als das
erzogen und behütet worden, was sie war: die Erbin eines gewaltigen Vermögens,
mit dem Blut eines alten Edelgeschlechts. Doch die Zeichen waren unverkennbar:
ihre Größe und die verfluchten grauen Augen. Wie oft hatte sie das Wispern
gehört: Halbblut! Wilde! Brythunierin! Solange hatte sie es gehört, bis ihre
Geschicklichkeit im Bogenschießen, ihre leichte Erregbarkeit und ihre
Gleichgültigkeit gegenüber möglichen Folgen dieses Wispern um sie verstummen
ließen. Sie war Lady Jondra aus dem Hause Perashanid, Tochter des Generals Lord
Karentides, und die Letzte eines Geschlechts, das selbst König Tiridates’ in
nichts nachstand. Und wehe, wenn jemand etwas anderes zu sagen wagte.
»Er hätte die Scheibe nicht ein
einzigesmal getroffen, meine Lady«, sagte eine ruhige Stimme neben ihrem
Ellbogen.
Jondra blickte auf den Diener
mit dem schütteren Haar und bemerkte die offene Sorge in seinem runzligen
Gesicht. »Es steht dir nicht zu, so zu sprechen, Mineus«, sagte sie, aber ihre
Stimme war freundlich.
Mineus verneigte sich.
»Verzeiht, meine Lady. Das Mädchen, das Lady Roxana schickte, ist hier, meine
Lady. Ich hieß sie, im zweiten Vorgemach zu warten, aber ich kann sie wieder
wegschicken, wenn das noch Euer Wunsch ist.«
»Wenn ich doch nicht heiraten
werde, brauche ich sie wohl.«
Das zweite Vorgemach hatte einen
Mosaikboden mit grünen und goldenen Arabesken. In seiner Mitte stand ein
zierliches Mädchen in kurzem dunkelblauem Kittel, die Farbe, die Lady Roxana
für ihre Dienerinnen ausgewählt hatte. Ihr dunkles Haar war zu einem kurzen
Zopf geflochten, der kaum über den Nacken reichte. Sie hielt die Augen gesenkt,
als Lady Jondra das Gemach betrat.
Auf einem Ebenholztischchen
lagen zwei mit der Vorderseite aufeinandergelegte und mit einer Seidenkordel
zusammengebundene Wachstafeln. Jondra begutachtete sorgsam die Siegel an der
Kordel. Außer den Edlen und Kaufleuten konnten nur wenige schreiben, aber es
war vorgekommen, daß Dienstboten versucht hatten, ihre Empfehlungsschreiben zu
ändern. An diesen Siegeln hatte sich jedoch niemand zu schaffen gemacht. Jondra
schnitt die Kordel auf und las.
»Weshalb willst du aus Lady
Roxanas Dienst treten?« fragte sie plötzlich. »Lyana? Ist das dein Name?«
»Ja, meine Lady«, antwortete das
Mädchen, ohne den Kopf zu heben. »Ich möchte gern Kammermagd werden, meine
Lady. Ich arbeitete in Lady Roxanas Küche, aber ihre Leibmägde bildeten mich
aus. Lady Roxana hatte genügend Leibmägde und keinen Bedarf für eine neue Magd,
doch sagte sie, daß Ihr eine sucht.«
Jondra runzelte die Stirn. Hatte
dieses Ding nicht genug Mut, ihr in die Augen zu sehen? Sie mochte
Unterwürfigkeit weder bei ihren Dienstboten noch bei den Pferden. »Ich brauche
eine Leibmagd, die mich bei meinen Jagdausflügen begleitet. Die letzten beiden
fanden die Anstrengungen zu groß. Kannst du Hitze und Sand und Fliegen
aushalten? Und mir trotzdem dienen?«
»O ja, meine Lady.«
Langsam ging Jondra um das
Mädchen herum und musterte sie von allen Seiten. Trotz ihrer Zierlichkeit sah
sie zumindest so aus, als würde sie in einem Jagdlager nicht gleich umkippen.
Mit den Fingerspitzen hob sie das Kinn des Mädchens. »Hübsch«, sagte sie und
glaubte ein flüchtiges Funkeln in den großen dunklen Augen zu sehen. Vielleicht
hat sie doch ein bißchen Feuer, dachte sie. »Ich lasse mir meine Jagd nicht
gern verderben oder unterbrechen,
Weitere Kostenlose Bücher