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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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wurde ich von dem erfüllt, was ihr Eifer nennt. Ich liebe dieses Wort. In meinem Eifer bestieg ich das nächstbeste Boot, das flussaufwärts fuhr – es war eine Pinasse der Royal Africa Company, die indische Stoffe zum Tausch gegen Sklaven geladen hatte. Nachdem ich in meiner Heimatstadt angekommen war, ging ich schnurstracks zum Tempel, drängelte mich an der Schlange der Pilger vorbei nach vorne und
trat vor den höchsten der hohen Aro-Priester. Er war ein Mann, den ich mein ganzes Leben lang gekannt hatte – er war eine Art Onkel für mich gewesen, und wir hatten oft aus derselben Schüssel gegessen. Da saß er nun prunkvoll auf seinem goldenen Thron, mit seinem Löwenfell, über und über mit schweren Ketten aus Kaurimuscheln behangen, und ich stieß aufgeregt hervor: ›Ist Euch bewusst, dass dieses Übel mit dem heutigen Tag zu Ende sein könnte? Das Gesetz der christlichen Kirche besagt, dass es rechtswidrig ist, einen Mann, nachdem er getauft wurde, in die Sklaverei zu schicken!‹ ›Worauf willst du hinaus – oder, um es anders auszudrücken, wie lautet deine Frage ?‹, wollte der weise Mann wissen. ›Sie ist sehr einfach‹, antwortete ich, ›warum taufen wir nicht einfach jeden Einwohner der Stadt – Massentaufen sind doch eine Spezialität dieser Katholiken -, und warum taufen wir im Übrigen nicht jeden Pilger und Sklaven, der durch die Stadttore hereinkommt?‹«
    »Was hat der weise Mann geantwortet?«
    »Nach einem Zögern, das keinen Herzschlag lang dauerte, drehte er sich zu den vier Speerträgern um, die neben ihm standen, und zuckte einmal kurz mit seinem Fliegenwedel. Darauf stürzten sie vor und fingen an, mir die Arme hinter den Rücken zu binden. ›Was soll denn das bedeuten? Was macht Ihr mit mir, Onkel?‹, rief ich. Er antwortete: ›Das sind zwei – nein, drei dumme Fragen hintereinander, ich müsste dich also, wenn das möglich wäre, drei Mal versklaven.‹ ›Mein Gott‹, sagte ich, als ich allmählich begriff, was mir da Grausiges widerfuhr, ›seht Ihr nicht das Böse dessen, was Ihr da tut? Bonny – und all die anderen Sklavendepots – sind voll mit Euren Brüdern, die an Krankheit und Hoffnungslosigkeit sterben, noch bevor sie auf diese schrecklichen Sklavenschiffe kommen! In Hunderten von Jahren werden ihre Nachfahren als Ausgestoßene in fernen Ländern leben, verbittert durch das Wissen um die Verbrechen, die an ihren Vorfahren verübt wurden! Wie können wir – wie könnt Ihr – scheinbar ein anständiger Mann, der seinen Frauen und Kindern Liebe und Zuneigung entgegenzubringen vermag – so entsetzliche Verbrechen begehen? ‹ Worauf der Weise antwortete: ›Das ist jetzt mal eine gute Frage!‹ und mich mit einem weiteren kurzen Schlag seines Fliegenwedels in das Sklavenlager schickte. Ich kehrte auf demselben englischen Boot nach Bonny zurück, das mich flussaufwärts gebracht hatte, und mein Onkel besaß ein neues Stück indischen Stoff zur Verschönerung seines Hauses.« Jetzt lachte Dappa laut auf, wobei seine Zähne in der
rasch fortschreitenden Dämmerung einer felsspaltähnlichen Seitenstraße von Algier hübsch schimmerten.
    Jack brachte ein höfliches Glucksen zustande. Obwohl die anderen Sklaven Dappas Geschichte vermutlich nie auf Englisch gehört hatten, erkannten sie die einzelnen Abschnitte und grinsten genau im richtigen Moment. Der Spanier lachte herzlich und sagte: »Man muss schon ein dummer Nigger sein, um das lustig zu finden!« Dappa beachtete ihn nicht.
    »Die Geschichte ist nicht übel«, räumte Jack ein, »aber sie erklärt nicht, wie du hier gelandet bist.«
    Dappa antwortete, indem er sein zerlumptes Hemd herunterzog, um seine rechte Brust zu entblößen. Im Dämmerlicht nahm Jack nicht mehr als ein Muster aus Narben wahr. »Ich kann keine Buchstaben lesen«, sagte er.
    »Dann werde ich dir zwei davon beibringen«, erwiderte Dappa und packte schnell Jacks Zeigefinger, bevor der zurückzucken konnte. »Das hier ist ein H«, fuhr er fort, während er Jacks Fingerspitze am Wulst einer Narbe entlangführte, »für Herzog. Und das ist ein Y, für York. So haben sie mich mit einem silbernen Brenneisen gestempelt, als ich in Bonny ankam.«
    »Ich will ja kein Salz in deine Wunden streuen, Dappa, aber genau dieser Kerl ist jetzt König von England...«
    »Nicht mehr«, warf Moseh ein, »er wurde von Wilhelm von Oranien fortgejagt.«
    »Na, das ist doch endlich mal eine gute Nachricht«, murmelte Jack.
    »Von da an ist meine Geschichte nicht

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