Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
Vom Netzwerk:
der französischen Seestreitkräfte vertäut waren. Zwei barfüßige französische Schwabbergasten banden das Langboot am Ende der Pier fest. Der Wasserstand war ziemlich niedrig, so dass Jack, Nasr al-Ghuráb und Dappa nacheinander eine Leiter zu der sonnenverbrannten Pier hinaufklettern mussten. Dort trafen sie denselben jungen Offizier, der ihnen zuvor den Brief gebracht hatte. Er war ein schlanker Bursche mit Adlernase und Überbiss, der sich leicht verbeugte und sie grüßte, ohne wirklich Respekt zu zeigen. Ein Adjutant übernahm die Vorstellung. Der Offizier war ein gewisser Pierre de Jonzac.
    »Erzähl Monsieur de Jonzac, dass er die kleinsten Nasenlöcher hat, die ich je bei einem Menschen gesehen habe«, sagte Jack im ordinärsten Sabir, dessen er fähig war, »was für den Umgang mit seinem Herrn geradezu ideal sein dürfte.«
    »Der Agha der Janitscharen grüßt Euch von Soldat zu Soldat«, sagte Dappa vage.
    »Teile ihm mit, ich sei ihm dankbar, dass er sich persönlich dafür verantwortlich erklärt hat, uns und unsere Ladung nach Ägypten zu bringen«, sagte der Raïs .
    Ein französischer Dialog schloss sich an. Pierre de Jonzac erstarrte. Seine Pupillen weiteten sich, und gleichzeitig zogen seine Nasenlöcher sich zusammen, als wären sie durch eine Kordel miteinander verbunden. »Er versteht wenig und verübelt viel«, stieß Dappa aus einem Mundwinkel hervor.
    »Wenn wir uns hier nicht genug Zeit nehmen, um unsere Besatzung
mit guten Sklaven zu vervollständigen, bleiben wir hinter dem Konvoi zurück und holländische oder kalabrische Piraten schnappen sich unsere Ladung...«, hob der Raïs an.
    »... von der wir nicht wissen, was es ist«, fügte Jack hinzu.
    »... die der Herzog aber anscheinend sehr zu schätzen weiß«, schloss Dappa, der selbst sehen konnte, wie die Dinge hier liefen. Nachdem er das alles auf Französisch gesagt hatte, zuckte Pierre de Jonzac zusammen und sah aus, als wollte er sie auspeitschen lassen. Dann schien er sich eines Besseren zu besinnen.
    Der Offizier machte auf dem Absatz kehrt und führte sie die Pier entlang. Die Rümpfe der französischen Galeeren waren niedrig wie Pantoffeln und schmal wie Messer, weshalb man sie von der Mitte der Pier aus gar nicht sehen konnte; jede Galeere besaß aber neben zwei Masten sowohl ein Vorder- als auch ein Achterkastell, um ihre Ladung an Geschützen und Seesoldaten so hoch wie möglich über den Köpfen der Feinde zu tragen. Diese Kastelle, im feinsten Barockstil verziert, vergoldet und bemalt, schienen, wie sie sich sanft in der Dünung auf und ab bewegten, zu beiden Seiten der Pier in der Luft zu schweben. Das war ein seltsam friedlicher Anblick – bis sie de Jonzac an den Rand der Pier folgten und hinunter in eine der Galeeren schauten: eine stinkende, mit Holz ausgekleidete Furche im Wasser, die mit Hunderten nackter, zu fünft an Taillen und Fußgelenken zusammengeketteter Männer vollgestopft war. Viele dösten vor sich hin. Doch sobald Gesichter über ihnen erschienen, begannen einige, Schimpfworte zu brüllen, und weckten damit die anderen auf. Dann schrien sie alle durcheinander.
    »Lumpengesicht! Komm runter und setz dich auf meinen Platz!«
    »Du hast’nen hübschen Arsch, Nigger! Bück dich mal, damit wir ihn besser sehen können!«
    »Wohin wollt ihr denn heute rudern?«
    »Nehmt mich! Meine Ruderkumpane schnarchen!«
    »Nehmt ihn! Er betet zu viel!«
    Und so weiter; jedenfalls schrien sie alle, so laut sie konnten, schüttelten ihre Ketten und stampften auf die Deckplanken, dass der Schiffsrumpf wie eine Trommel dröhnte.
    »Je vous en prie!« , sagte Pierre de Jonzac und streckte eine Hand aus.
    Wie allmählich klar wurde, erwartete man von ihnen, dass sie von jeder Galeere ein paar Sklaven nahmen. Bald schälte sich ein Ritual heraus: Sie gingen über Laufplanken von der Pier zum Achterkastell
und verhandelten mit dem Kapitän, der sie erwartete und freundlicherweise bereits ein paar Sklaven ausgesucht hatte – immer die erbärmlichsten, tuberkulösen Exemplare, die er auf seinem Schiff hatte. Nasr al-Ghuráb knuffte sie dann, untersuchte ihre Zähne, tastete ihre Knie ab und machte höhnische Bemerkungen. Das war das Zeichen für den Beginn der Feilscherei. Mit Dappa als Vermittler musste al-Ghuráb einen Galérien nach dem anderen ablehnen, wobei er immer mit den bemitleidenswertesten anfing, und die wurden dann in den Hexenkessel aus Landstreichern, Schmugglern, Taschendieben, Deserteuren, Würgern,

Weitere Kostenlose Bücher