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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Kriegsgefangenen und Hugenotten, die unten an die Bänke gekettet waren, zurückgeschickt. Danach musste natürlich Ersatz ausgesucht werden, ein weiterer Anlass für Feilscherei, aber auch für zahllose böse Blicke, Beleidigungen, Täuschungen und Hinhaltemanöver der Maate – Comités genannt -, die über das Ruderdeck geboten, und für ermüdendes Ab- und wieder Anketten. Das Langboot konnte nur zehn Sklaven auf einmal zu der Galiot hinausbefördern, was insgesamt fünf Hin- und ebenso viele Rückfahrten erforderlich machte.
    Al-Ghurábs ursprüngliche Strategie hatte darin bestanden, die Franzosen zu zermürben, indem er sich Zeit nahm und mit aller Sorgfalt auswählte; doch im weiteren Verlauf des Tages wurde deutlich, dass die Zeit für die Galeerenkapitäne spielte, die es sich in ihren Kabinen gut gehen ließen, und für Pierre de Jonzac, der unter einem riesigen Sonnenschirm auf der Pier an seinem Champagner nippte, während Jack, Dappa und al-Ghuráb sich eine Laufplanke nach der anderen hinauf- und hinunterquälten und dabei den Geruch und die Flüche der Galériens ertragen mussten. Sie suchten sich ungefähr zwei Bootsladungen mit einigermaßen brauchbaren Sklaven heraus, bevor sie allmählich ihre Konzentration verloren; von da an wollten sie das Ganze im Grunde nur noch mit einem Hauch von Würde zu Ende bringen. Jack führte an diesem Tag manch einen Galérien den Laufgang zwischen den Ruderbänken hinunter. Einige von ihnen mussten bis zu ihrer Verladung über die gesamte Schiffslänge von einhundertfünfzig Fuß vorwärtsgestoßen werden. Von denen, die zurückblieben, fühlte jeder sich bemüßigt, dem, der mitgenommen wurde, irgendetwas mit auf den Weg zu geben:
    »Hoffentlich besorgen die Mohammedaner es dir so oft in den Arsch, wie du deiner Frau und deinen Kindern in Toulouse nachgeheult hast!«

    »Schick uns einen Brief aus Algier, angeblich ist das Wetter dort sehr schön!«
    »Mach’s gut, Jean-Baptiste, Gott sei mit dir!«
    »Sorg dafür, dass die Korsaren uns nicht rammen, ich hab überhaupt nichts gegen sie!«
    Es war die allerletzte Tour dieses Tages, als Jack – der im Laufgang einer Galeere stand, während der Raïs mit einem Comité stritt – einen Moment lang von einem hellen Licht geblendet wurde, das auf sein Auge gerichtet war. Er blinzelte, und es war weg. Dann war es wieder da: hell wie die Sonne, aber aus einer Quelle innerhalb der Galeere. Beim dritten Mal hielt er einen Arm hoch, um seine Augen abzuschirmen, schielte schräg darunter hervor und entdeckte, dass es von der Mitte einer Bank an Steuerbord, unweit des Bugs, kam. Er setzte sich dorthin in Bewegung – was unter den Galériens für Aufsehen sorgte, hatten sie doch alle das Licht auf seinem Gesicht bemerkt und schrien und bearbeiteten nun ihre Bänke vor Vergnügen.
    Als Jack im vorderen Teil des Ruderdecks angekommen war, hatte er die Quelle des Lichts aus den Augen verloren – doch dann traf ihn noch einmal ein Lichtblitz, verblasste dann und schrumpfte auf ein kleines Vieleck aus grauem Glas zusammen, das ein Mann in der Hand hielt. Jack hatte schon geahnt, dass es ein Handspiegel war, denn diese fanden sich häufig unter den wenigen jämmerlichen Habseligkeiten, die Galeerensklaven bei sich haben durften. Indem er ihn durch eine Ruderdolle nach draußen oder hoch über den Kopf hielt, konnte sein Eigentümer vieles sehen, was eigentlich nicht in seinem Blickfeld lag. Allerdings zeugte es von Dreistigkeit, wenn ein Galérien einem Freien, der im Laufgang stand, Sonnenlicht in die Augen lenkte, denn das war höchst unangenehm und konnte mit dem Zerbrechen oder Konfiszieren des Spiegels bestraft werden.
    Jack schaute auf in die Augen des frechen Kerls, der ihm diesen Streich gespielt hatte, und erkannte in ihm augenblicklich Monsieur Arlanc, den Hugenotten, den er zuletzt bis zum Hals in Mist eingegraben in einem Pferdestall in Frankreich gesehen hatte.
    Jacks Lippen öffneten sich, doch Monsieur Arlanc hob einen Finger an die seinen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann verdrehte er die Augen und lenkte Jacks Blick über das Dollbord und dann über das unruhige schwarze Wasser des Hafens hinweg grob in Richtung Sizilien. Jacks Aufmerksamkeit rollte ziellos im Hafen umher, wie eine lose Kanonenkugel auf Deck eines stampfenden Schiffs,
bis sie in eine Vertiefung fiel und liegen blieb. Er konnte nämlich ganz deutlich eine Art heidnische Halb-Galeere sehen, die auf den Dünungen an der Hafeneinfahrt

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