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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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hatten sich Nicolas Fatio de Duillier und Gottfried Wilhelm Leibniz aufeinander zubewegt, als wären sie durch eine unsichtbare Feder miteinander verbunden, die sich mitten durch den
murmelnden Schwarm von Freiherren und Freifrauen spannte. Als sie schließlich in Rufweite zueinander gelangten, wechselten sie zu Französisch über und begannen eine lockere Plauderei über Involuten, Evoluten und radiale Kurven. Leibniz hielt ein Tutorium über eine neue Vorstellung namens parallele Kurven, mit der er in seiner freien Zeit herumspielte und die er dadurch illustrierte, dass er mit seiner Stiefelspitze unsichtbare Linien auf der Kaminsohle zog. Kleinadelige Niedersachsens, die darauftraten, wurden höflich ersucht weiterzugehen, damit auch Fatio mehrere unsichtbare Linien und Kurven zeichnen konnte. Dann brachte er es fertig, in einem einzigen, grammatikalisch korrekten Satz Appolonius von Perga, das Folium von Descartes und das Limaçon von Pascal zu erwähnen.
    Die Wände des Saals waren geschmückt mit unwirklich optimistischen Gemälden von zwei bis drei Klaftern Kantenlänge, auf denen Säleute, Schnitter und Ährenleser auf sonnengoldenen Feldern ihrem jeweiligen Beruf nachgingen. Flammen in Bronzekörben auf den Köpfen nackter, muskelbepackter Bronzemohren, die auf zehn Tonnen schweren Piedestalen in den Ecken standen, warfen ein unbeständiges Licht auf sie.
    Fatio sah angelegentlich auf seine Uhr. »Die Sonne ist wann aufgegangen – vor zwei Stunden? In diesen Breiten bleiben uns also noch – sagen wir – zwei Stunden Tageslicht?«
    »Etwas mehr, mit Verlaub, mein Herr«, antwortete Leibniz mit einem Zwinkern; vielleicht war ihm auch nur ein Ascheflöckchen ins Auge geflogen. Beide Männer kehrten dem Feuer den Rücken zu, um sich ein letztes Mal aufzuwärmen, dann marschierten sie in Richtung Ausgang und tasteten durch Dunkelheit und Rauch nach der Tür.
    Sie wurden von starkem bläulichem Licht geblendet. Die Galerien des Schlosses – die nicht nur als Verbindungsgänge, sondern auch als eine Art äußerer Abwehrring gegen das Klima dienten – liefen um dessen Außenwand herum und hatten zahlreiche Fenster. Das Licht der tief stehenden Wintersonne wurde von dem verharschten Schnee zurückgeworfen, der den toten Park bedeckte, und erfüllte diese Korridore mit kaltem Glanz. Ein empörter Diener knallte die Türen hinter ihnen zu, um den Wärmeverlust gering zu halten. Leibniz und Fatio passten ihr Tempo aneinander an, während sie fast im Laufschritt die Galerie entlanggingen. Die Kälte schien ihre Strümpfe aufgelöst zu haben. Es war zwingend notwendig, Knie und Unterschenkel in Bewegung zu halten.

    »Beeindruckende Familie«, ließ sich Fatio vernehmen. »Man hört von ihnen, aber man begegnet ihnen nie.«
    »Sie wachsen in die Lücken hinein, die andere Familien lassen«, räumte Leibniz ein. »Ihr würdet die Hannoveraner interessanter finden.«
    »Sie scheinen in der Tat ungeheuer fruchtbar zu sein«, sagte Fatio. »Die Winterkönigin hat überall verstreut Kinder hinterlassen, und Sophie hat zur einen oder anderen Zeit fast jedermann geboren.«
    »Sophie hat in diesen Zweig hier eingeheiratet«, sagte Leibniz mit einem kurzen Blick zurück.
    »Und so seid Ihr ihr Bibliothekar geworden?«
    »Geheimer Rat«, verbesserte ihn Leibniz.
    »Mein Herr! Bitte nehmt meine Entschuldigungen und meine Glückwünsche entgegen!«, verkündete Fatio, verhielt seinen Schritt und griff nach seinem Hut, um sich verbeugen zu können; doch Leibniz fasste ihn am Ellbogen und zog ihn weiter.
    »Schon gut, es ist noch nicht lange her. Kurzum, die Herzogsfamilie, deren Stammschloss dies hier ist, hat zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine ungeheure Flut von Kindern in die Welt gesetzt, wahrscheinlich weil man hier äonenlang von Dänen, Schweden und weiß Gott wem noch belagert wurde und nichts anderes zu tun hatte, als es miteinander zu treiben. In einem Zeitraum von acht Jahren kamen vier Brüder zur Welt! Und alle überlebten!«
    »Welche Kalamität!«
    »In der Tat! In den 1650ern tobten die Burschen sich an sämtlichen Höfen der Christenheit aus und gaben sich alle Mühe, den unnatürlichen Überschuss an Jungfrauen abzubauen, der sich während des Krieges angehäuft hatte. Alle wollten sie Sophie. Einer war zu dick und ohnehin katholisch. Einer trank zu viel und war impotent. Einer hatte bekanntermaßen Syphilis. Doch der Jüngste – Ernst August – war, wie es im Märchen heißt, der Richtige! Sophie

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