Confusion
heiratete ihn.«
»Aber mein lieber Doktor, wie kommt es, dass der jüngste Bruder die beste Position errang?«
Sie gelangten an eine Ecke des Schlosses und bogen in eine andere endlose Galerie ein.
»1665 starb der Säufer. Ernst August und Georg Wilhelm – der Syphilitiker – waren damit beschäftigt, sich die Hörner abzustoßen. Also eignete sich Johann Friedrich...«
»Per Ausschluss müsste das der fettleibige Katholik sein?«
»Ganz recht. Er eignete sich das Herzogtum an und stellte eine Armee auf, um es zu verteidigen. Bis die Nachricht von diesem coup de main in das venezianische Bordell gelangt war, in dem Ernst August und Georg Wilhelm ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, war es fait accompli. Später kamen sie, wie es sich für gute Brüder gehört, zu einer Einigung. Johann Friedrich zog das große Los und wurde Herzog von Hannover. Georg Wilhelm wurde Herzog von Celle. Ernst August blieb – obwohl Protestant – Bischof von Osnabrück. Der Rest des Clans landete hier in Wolfenbüttel – Ihr habt die Leute gerade kennen gelernt. Nun hatten Ernst August und Sophie bereits beschlossen, ihr kleines Lehen zu einem Parnass, einem Königreich der Vernunft zu machen...«
»Also haben sie natürlich Euch angestellt.«
»Nein, genau genommen war das seinerzeit sehr im Schwange. Johann Friedrich hatte das Gleiche in Hannover vor.«
»Das müssen gute Zeiten für einen Gelehrten gewesen sein.«
»In der Tat, man konnte seinen Preis selbst bestimmen. Johann Friedrich hatte mehr Geld und eine riesige Bibliothek.«
»Richtig, nun erinnere ich mich wieder. Huygens sagte mir, Ihr hättet, nachdem er Euch alles beigebracht hatte, was er über Mathematik wusste – das muss etwa Anfang der 1670er gewesen sein -, Paris verlassen und eine Stelle an einem kalten, öden Ort annehmen müssen.« Fatio warf einen angelegentlichen Blick zum Fenster hinaus.
»Das war Hannover – ein lediglich nomineller Unterschied, denn Euch würde es sehr stark wie Wolfenbüttel anmuten.«
Leibniz komplimentierte Fatio in eine Eingangshalle, die von einem einschüchternd wuchtigen Treppenhaus dominiert wurde.
Mit leicht verwirrter Stimme sagte Fatio: »Es müssen demnach eine ganze Menge Leute gestorben sein, damit Ernst August Herzog von Hannover werden konnte...«
»Johann Friedrich starb 79. Georg Wilhelm lebt noch. Aber es war Ernst August, der Herzog von Hannover wurde, und zwar kraft dieser oder jener Unterklausel in der zwischen ihm und seinen Brüdern getroffenen Vereinbarung – ich erspare Euch die Einzelheiten.«
»Also konnte Sophie ihren Parnass mit dem von Johann Friedrich vereinigen – und Ihr wart dessen Glanzstück...«
»Ihr schmeichelt mir, mein Herr.«
»Aber warum musste ich hierherkommen, um Euch kennen zu lernen? Ich hatte erwartet, Euch in Hannover zu finden.«
»Die Bibliothek!«, antwortete Leibniz, überholte den jüngeren Mann und warf sich gegen eine riesige Tür. Es knirschte und klirrte, als das Eis an ihren Angeln barst und auf den Boden fiel. Dann tat sie sich weit auf und gewährte Fatio einen Blick über mehrere hundert Yard flachen, schneebedeckten Bodens auf ein riesiges, dunkles, ungleichmäßiges Gebilde, das dort im Bau war.
»Ein Vergleich mit der Bibliothek, die Wren am Trinity College baut, verbietet sich«, sagte Leibniz fröhlich. » Seine wird ein Schmuckstück sein – nicht, dass es daran etwas auszusetzen gäbe – und meine ein Werkzeug, eine Wissensmaschine.«
»Maschine?« Durch den Schnee stakste Fatio, der wohlbeschuht war, Leibniz nach, der jede Hoffnung, seine Stiefel vor dem Verderb schützen zu können, aufgegeben hatte und in eine Art schwerfälliges Stampfen verfallen war.
»Die Art, wie wir unser Wissen gebrauchen, schreitet durch immer höhere Abstraktionsebenen fort, während wir die Zivilisation vervollkommnen und dem Wesen Gottes näherkommen«, sagte Leibniz, als machte er eine beiläufige Bemerkung über das Wetter. »Adam benannte die Tiere; das heißt, er gelangte von der zufälligen Beobachtung einzelner Exemplare zur Erkenntnis der Arten, für die er dann abstrakte Namen ersann – eine Art Code, wenn Ihr so wollt. Tatsächlich wäre, wenn er dies nicht getan hätte, Noahs Aufgabe unvorstellbar gewesen. Später wurde ein Schreibsystem entwickelt: gesprochene Worte wurden zu Zeichenketten abstrahiert. Dies wurde zur Grundlage für das göttliche Gesetz – so teilte Gott dem Menschen seine Absichten mit. Die Bibel wurde geschrieben. Dann andere
Weitere Kostenlose Bücher