Confusion
absoluter Gewissheit. Zum einen, dass der Duc d’Arcachon tot war. Ihre Lebensmission war daher erfüllt. Zum anderen, dass Jack Shaftoe am Leben war, sich reingewaschen hatte und sie liebte. Am allerbesten war, dass er sie aus ungeheurer Ferne liebte, wodurch es sehr viel weniger ungelegen kam, von ihm geliebt zu werden. Und so bewegte sich Eliza, noch während überall um sie herum Menschen nach Luft schnappten, schrien und in Ohnmacht fielen, auf die Duchesse d’Oyonnax zu, die neben Eliza der gelassenste Mensch im Saal war. Sie machte einen beinahe amüsierten Eindruck. Eliza fischte die kleine grüne Phiole aus ihrem Taillenband. Sie näherte sich der d’Oyonnax von der Seite, streckte die linke Hand aus, ergriff damit die Hand der d’Oyonnax, zog sie zu sich heran und drehte dabei den Handteller nach oben. Mit ihrer Rechten drückte sie der d’Oyonnax die Phiole in die Hand. Ehe die Herzogin noch wusste, worum es sich handelte, schlossen sich unwillkürlich ihre Finger darum, und Eliza zog sich von ihr zurück.
Ihre Aufmerksamkeit wandte sich – wie die fast aller anderen im Saal – d’Avaux zu, der sich dem König genähert und die Erlaubnis zu sprechen erhalten hatte. Dass er überhaupt um Erlaubnis gefragt hatte, war ein Wunder, denn er war so wütend, dass er fast geiferte. Er blickte immer wieder zu Eliza zurück, was diese auf den Gedanken brachte, es wäre vielleicht das Beste, wenn sie näher träte und zuhörte.
»Eure Majestät!«, rief d’Avaux. »Mit Verlaub, Eure Majestät, ich sage, dass derjenige, der dieses abscheuliche Verbrechen begangen hat, zwar weit weg sein mag, dessen erste Ursache und entscheidender Anlass hingegen ganz in der Nähe, ja fast in Reichweite des Schwertes Eurer Majestät ist, sodass Eure Majestät sogleich Genugtuung erfahren kann – denn sie, die Frau, in deren Namen L’Emmerdeur diesen Mord begangen hat, ist keine andere als...«, und er hob die Hand vor sein Gesicht, den Zeigefinger ausgestreckt wie ein Duellant in dem Augenblick, bevor er die Pistole auf seinen Feind richtet. Sein Blick war auf Eliza fixiert. Der tödliche Finger begann sich in Richtung ihres
Herzens herabzusenken. Sie jedoch griff nach oben, packte den Finger, während er noch auf die prächtige Decke Le Bruns gerichtet war, und bog ihn so scharf zurück, dass d’Avaux heftig den Atem einzog – was zur Folge hatte, dass er seinen Satz nicht beenden konnte. » Merci beaucoup, monsieur«, flüsterte sie und vollführte eine Pirouette um volle dreihundertsechzig Grad, sodass sie dem König von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, während sie d’Avaux zugleich in den Hintergrund verbannte. Ihre Hand, die sich nun hinter ihrem Kreuz befand, hielt noch immer d’Avaux’ Finger gepackt. Sie hatte das Ganze – jedenfalls hoffte sie das – so zuwege gebracht, dass ein Beobachter, der wegen des plötzlich aufgetauchten, abgetrennten Kopfes des Geburtstagskindes noch unter Schock stand, meinen könnte, d’Avaux habe ihr höflicherweise seine Hand angeboten und sie habe sie dankend angenommen.
»Mit Verlaub, Eure Majestät, ich habe sagen hören, die Regeln der Etikette räumten den Damen Vorrang vor den Herren ein. Habe ich mich getäuscht?«
»Keineswegs, Mademoiselle«, sagte der König.
»Ich sage Euch, es war...« begann d’Avaux; doch der König brachte ihn mit einem kurzen Blick zum Schweigen, und Eliza unterstrich die Botschaft mit einer Drehung an dem Finger.
»Außerdem heißt es, die Gesetze des Himmels stellten die Liebe vor den Hass und den Frieden vor den Krieg; ist das wahr?«
» Pourquoi non, Mademoiselle?«
»Dann bitte ich Euch als eine Dame, die im Auftrag der Liebe vor Eurer Majestät steht, um Vorrang vor diesem Herrn, meinem lieben Freund und Mentor Monsieur le Comte d’Avaux, dessen rotes, zorniges Gesicht mir verrät, dass sein Auftrag von hassvoller Vergeltung handelt.«
»So schrecklich sind die Neuigkeiten heute Abend, dass es mir, wenn schon nicht Freude, so doch vielleicht ein paar Augenblicke der Ablenkung von all der Unerfreulichkeit verschaffen würde, Euch Vorrang vor Monsieur d’Avaux zu gewähren; vorausgesetzt, sein Auftrag ist nicht von dringender Natur.«
»O nein, keineswegs, Eure Majestät, was ich zu sagen habe, wird Euch in ein paar Minuten noch genauso nützlich sein wie jetzt. Ich bestehe darauf, dass Mademoiselle la Comtesse de la Zeur fortfährt.« D’Avaux entwand ihr endlich seinen Finger und trat einen Schritt zurück.
»Eure
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