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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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aufmerksam machte. »Das, Eure Majestät, ist die Liebste nicht nur von L’Emmerdeur - der schließlich ein Niemand ist -, sondern auch aller Holländer und Engländer. Es ist der Neid, der ihren ritterlichen Taten zugrunde liegt.«
    »Eure Beobachtungsgabe ist so scharf wie eh und je, Monsieur«, sagte der König, »und ich habe mich niemals glücklicher geschätzt, Euch zu meinen Untertanen zu zählen.«
    D’Avaux verbeugte sich ganz tief. Eliza konnte sich des Gedankens
nicht erwehren, dass trotz des Misserfolges und der Niederlage, die d’Avaux hier erlitten hatte, das große Kompliment des Königs mehr als eine ausreichende Entschädigung war. Sie fragte sich, ob der König alles wusste.
    Der König fuhr fort: »Monsieur le Comte d’Avaux hat wie üblich klug gesprochen. Daraus folgt, dass wir, wenn wir die Pläne der Anhänger des Feindes durchkreuzen wollen, alles feiern sollten, was an diesem Reich groß ist: mit Totenmessen die vergangene Größe und mit Hochzeiten die Größe, die in der Zukunft liegt. So sei es.«
    Und so war es.
    Die meisten Gäste gingen nach der Totenmesse im Ballsaal nach Hause, aber es blieben genug, um für die Hochzeit die Kapelle zu füllen. Danach begaben sie sich direkt zu einem zweiten Trauergottesdienst; denn Madame la Duchesse d’Arcachon hatte sich nicht von dem Anblick erholt, der sich ihr bot, als der Kopf ihres Mannes aus der Schatulle gezogen worden war. Was alle für eine Ohnmacht gehalten hatten, war in Wirklichkeit ein Schlaganfall gewesen. Eine Seite ihres Körpers war bereits leblos geworden, als man sie zu ihrer Schlafkammer getragen hatte, in den Stunden danach hatte sich die Lähmung auch auf die andere Seite ausgebreitet, und schließlich hatte ihr Herz zu schlagen aufgehört. Und so waren, als die beiden frisch Verheirateten gegen Mitternacht aus dem Tor des Hôtel Arcachon traten und eine geliehene Kutsche bestiegen (denn die weiße Kutsche war nicht nur verschmutzt, sondern auch kaputt), beide Eltern von Étienne tot und wurden für den Transport zu geweihter Erde in La Dunette vorbereitet. Étienne war Duc, und Eliza war Duchesse d’Arcachon.
    Der neue Herzog und die Herzogin vollzogen ihren Bund unter vielen Decken auf der Fahrt nach Versailles und trafen in den dunkelsten und kältesten Stunden vor der Dämmerung in La Dunette ein. Frische Hufabdrücke im Schnee auf den Kieswegen von La Dunette verrieten ihnen, dass sie nicht als Erste hier entlanggekommen waren, seit es zu schneien aufgehört hatte. Beim Schloss angelangt, fanden sie die Dienerschaft schon auf den Beinen, angekleidet und rot um die Augen. Die Doyenne der Dienstmädchen nahm Eliza beiseite und informierte sie darüber, dass sie sich sofort zum Konvent Ste.-Genevieve begeben müsse, denn es gebe schreckliche Neuigkeiten. Eliza, die nicht warten wollte, bis entsprechende Vorbereitungen getroffen waren, bestieg das erste Pferd, das sie zu fassen bekam – es war eine Albinostute -, und ritt ohne Sattel zu dem kleinen Konvent hinab, der
voller weinender und betender Nonnen war. Sie ging direkt zu dem Zimmer, in dem Jean-Jacques schlief. Sie wusste bereits, was sie dort erwartete, denn sie hatte es, wie jede Mutter und jeder Vater, schon in Albträumen gesehen: das zersplitterte Fenster, die zerrissenen Vorhänge, Stiefelabdrücke auf der Fensterbank und die leere Wiege. Die Decken fehlten; das war ihr ein gewisser Trost, denn es ließ darauf schließen, dass Jean-Jacques, wo immer er sich auch befinden mochte, wenigstens nicht erfror. In dem kleinen Bett war ein kurzer, an die Gräfin de la Zeur adressierter Brief zurückgelassen worden; wer immer ihn geschrieben hatte, wusste noch nichts von ihrem neuen Rang und Titel. Der Brief lautete:
    Fräulein!
    Ihr und Euer Landstreicher habt etwas, was mir gehört. Ich habe etwas, was Euch gehört.
    L

Schloss Wolfenbüttel, Niedersachsen
    DEZEMBER 1690
    In der Tat scheint es uns, als wäre dieser aus Genua herbeigeschaffte Marmorblock genau derselbe geblieben, wenn man ihn dort gelassen hätte, weil unsere Sinne uns nur ein oberflächliches Urteil erlauben, im Grunde aber wäre wegen des Zusammenhangs aller Dinge das gesamte Universum mit allen seinen Teilen vollkommen anders und wäre von Anfang an ein anderes gewesen, wenn nur das Geringste darin anders verliefe, als es das tut.
    LEIBNIZ
     
    Die Honneurs hatten sich vor dem Hintergrund eines Kamins abgespielt, der groß genug war, um ein kleines Dorf zu verbrennen. Etwa eine halbe Stunde lang

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