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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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er soeben einen weiteren erhalten: Von den britischen Schiffen – seinen Schiffen – hatte kein einziges auch nur die geringste Neigung erkennen lassen, sich in dem Streit auf seine Seite zu stellen. Selbst ihm musste nun klar sein, dass es keine Invasion geben würde.
    Eliza wäre niemals so töricht gewesen zu behaupten, der Tag sei perfekt verlaufen. Denn an Bord dieser auf dem Wasser umherwimmelnden Schiffe befanden sich Menschen, und jeder Rauchpilz bedeutete durch die Luft fliegende Metallkugeln und manchmal weggerissene Beine oder jäh beendete Leben. Doch kein einziges Schiff war untergegangen; die Möglichkeit einer Invasion war nicht mehr ernst zu nehmen; und Elizas Plan klappte wie am Schnürchen.
    Dann hatte sich der Wind gelegt, und der bronzene Schleier, der fast den ganzen Tag auf dem Wasser gelegen hatte, hatte sich zu Nebel verdichtet. Er hatte sich herabgesenkt wie ein grauer Samtvorhang, der den ersten Akt einer Oper beendet, was ganz in Ordnung gewesen war; nur leider war die Sache dann ins Stocken geraten, und es hatte keinen zweiten, dritten, vierten oder fünften Akt gegeben; bloß endloses, sporadisches, fernes Donnern, während die Flotten hin und her trieben und auf Phantome feuerten. Den Rest des neunundzwanzigsten Nebel; am dreißigsten Nebel; am einunddreißigsten Nebel; am ersten Juni Nebel! Ab und zu erreichten ein paar unerschrockene Matrosen in einer Barkasse das Ufer, tasteten sich an der Küste entlang, bis sie Cherbourg fanden, und brachten Nachrichten. So erfuhr man beispielsweise, dass einige (vor Anker liegende) französische und einige (treibende) englische Schiffe in der Undurchdringlichkeit des zweiten Tages aneinandergeraten und die Besatzungen mit Entermessern aufeinander losgegangen waren, bis der Gezeitenwechsel sie getrennt hatte. Doch im Grunde tat sich sehr
wenig. Am ersten Tag hatte Eliza gewünscht, ganz Versailles hätte dem Duell der beiden Flaggschiffe beiwohnen können; seither hatte sie der Vorsehung jede Stunde dafür gedankt, dass kein Höfling in der Nähe war, der diese Travestie zu sehen bekam; oder (was noch schlimmer gewesen wäre) sie nicht zu sehen bekam. Sie beneidete weder Pontchartrain noch Étienne, die bald beim König würden vorsprechen müssen, um mehr Geld für die Flotte zu fordern. Was der König sagen mochte, konnte sie sich nicht denken, denn er war stets höflich; doch was er denken würde, wusste sie: Warum sollte ich das Geld auf dem Boden meiner Schatzkammer zusammenkratzen, um Holzzuber zu bauen, damit Männer im Nebel miteinander zusammenstoßen können?
    Als die Sonne am vergangenen Abend hinter dem Nebel untergegangen war, hatte sie die Hoffnung für ihren Plan schon fast aufgegeben. »Wenn ich die Sonne morgen früh aufgehen sehe«, hatte sie sich gesagt, »dann besteht vielleicht noch eine Möglichkeit; wenn nicht, war die Arbeit der letzten zwei Monate umsonst, und ich fange wieder von vorn an.«
    Heute hatte sie beim ersten Tageslicht in den Osthimmel gestarrt und dabei halb gehofft, nichts als eine Nebelwand zu sehen, denn dann wäre ihr Plan unzweifelhaft gestorben und alles wäre viel einfacher und leichter gewesen. Stattdessen hatte sie die Sonnenscheibe gesehen, so klar umrissen und etwa so hell wie eine Kupfermünze, die auf einem Aschebett liegt.
    Sie schloss die Augen; rief in ein und demselben Satz den Teufel und den himmlischen Vater an, falls einer von beiden gerade hinhörte; und schloss an drei der Kajütenfenster die Läden, ließ die anderen jedoch offen. Während sich die Météore, von der Morgenflut getrieben, drehte und der Stadt ihr vergoldetes Hinterteil zukehrte, würde dieses Signal für diejenigen sichtbar werden, die danach Ausschau hielten.
    Sie begann ein paar Sachen in eine Tasche zu packen: als Erstes fünf Wechsel, die sie in eine Brieftasche aus geöltem Leder einschlug, um die Feuchtigkeit abzuhalten. Dann eine zusammengerollte Decke. Tücher. Einen Kamm sowie einige Bänder, Nadeln und Klammern, um ihr Haar zu bändigen. Ein paar Silbermünzen, hauptsächlich Stücke von Achten, in keilförmige Stücke gehackt, was die Engländer gewiss verblüffen würde.
    Die Dächer von Cherbourg leuchteten wie glühende, aus der Esse gezogene Eisen, anscheinend aber nicht vom widergespiegelten Licht
der Sonne, sondern eher von innen. Von weither ertönte ein Knall, dem ein weiterer und dann eine ganze Serie folgten.
    Dann klopfte jemand an ihre Tür, und der Schreck fuhr ihr durch alle Glieder; denn

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