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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sich einfach einen Weg durch ein Schott.
    Das machte solchen Lärm, dass Eliza das plötzliche Auftauchen des riesigen Einarmigen in ihrer Kajüte fast entgangen wäre. Fast; denn er schwang sich an einem Tau durch ein Fenster herein, sodass ein Glassplitter sie am Ohr traf. Und das Dienstmädchen sah ihn wohl auf die
Glasscheibe zusausen, denn es begann einen kurzen Moment vor deren Zertrümmerung zu schreien und schrie noch ein paar Augenblicke weiter, so lange nämlich, bis der Eindringling sie mit seinem gesunden Arm um die Taille packte, hochhob und aus dem Schiff warf. Am Ende wurde das Geschrei erst durch ihren Aufschlag auf dem Wasser beendet. Ein paar Sekunden später setzte es sich leicht gurgelnd fort. Der große Mann hatte fahlblaue Augen und wirkte zerstreut; so viel aufzunehmen, so viel zu tun. Er ließ seinen Blick durch die Kajüte wandern und zählte rasch die noch nicht hinausgeworfenen Frauen (drei). Er drehte sich um und blickte auf das zerschmetterte Fenster. Es wurde durch ein Gemenge aus zerschmettertem Glas, zersplittertem Holz und Kalfaterwerg, das den Fenstersturz des Dienstmädchens erschwert hatte, teilweise blockiert. Der Mann zuckte die Achseln, und einer seiner Arme verdreifachte seine Länge. Denn er war unterhalb des Ellbogens abgetrennt und durch einen dreiteiligen Dreschflegel ersetzt worden, dessen Segmente aus irgendeinem dunklen, schwer wirkenden Holz bestanden und mit Eisen beschlagen und durch kurze Kettenstücke miteinander verbunden waren. Der Mann wandte sich dem Fenster zu, taxierte die Entfernung und verfiel in eine merkwürdige Achselzuck- und Schüttelbewegung, die sich den Dreschflegel entlang fortpflanzte, sodass dessen distales Segment wie eine von einer Kanone abgefeuerte Kettenkugel durch die Überreste des Fensterrahmens fetzte. Dies und ein paar Tritte reichten aus, um eine klare, rechteckige Öffnung zu schaffen, durch die der Mann gleich darauf eine schreiende Nicole schleuderte.
    Ehe er dieses Frauenwerfprojekt weiterverfolgen konnte, wurde er vom rüden Einbruch eines Männerarms in die Kajüte abgelenkt. Die englischen Enterer hatten ein Loch gemacht, und einer von ihnen griff hindurch, um festzustellen, was er zu fassen bekäme. Ganz oben auf seiner Liste stand der Messingriegel, der die Kajütentür geschlossen hielt. Der klapprige, skeletthafte Dreschflegelarm rasselte, eine seltsam sich entfaltende Abfolge grässlicher Ereignisse, durch die Kajüte und traf den neuen Eindringling mit einer Art splitterndem Geräusch in der Ellbogengegend. Der Arm wurde zurückgezogen, und es blieb eine dunkle Höhlung, durch die der Einarmige einen Dolch schleuderte, der aus dem Nichts in seiner Hand aufgetaucht war. »Schießt auf ihn!«, schrie jemand von der anderen Seite des Schotts; doch Brigitte besaß die Geistesgegenwart, Elizas Matratze – die an der Kajütentür gelehnt hatte – umzuwerfen, sodass sie die Öffnung im Schott
verdeckte. Die Männer auf der anderen Seite konnten durch das Loch greifen und sie wegstoßen, doch sie fiel immer wieder zurück; was Eliza, wenn sie mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte, vielleicht als eine Art Lektion darin aufgefasst haben würde, dass weiche Verteidigungsmittel manchmal wirkungsvoller sein konnten als harte.
    Eliza war an das fehlende Fenster getreten. Darunter befand sich ein Skiff mit zwei Rudern. Von diesem verlief eine Leine geradewegs nach oben zu einem Enterhaken, der oberhalb des Fensters im Tauwerk des Besanmastes der Météore festsaß; auf diese Weise war der Einarmige an Bord gelangt, obwohl er sich dazu, weil einarmig, offenbar irgendeiner sinnreichen Anordnung von Flaschenzügen hatte bedienen müssen, die viel zu kompliziert war, als dass Eliza sie unter den gegebenen Umständen hätte durchschauen können.
    Die beiden zuvor hinausgeworfenen Frauen dümpelten wie Lilien auf dem Wasser, denn ihre Röcke hatten sich im Fallen gebauscht. Irgendwann würden sie sich voll Wasser saugen und untergehen, doch die beiden Frauen hatten das Dollbord des kleinen Bootes zu fassen bekommen und schienen vorläufig zurechtzukommen, was das Allermindeste war, was Eliza von ihrem Personal verlangte. Tatsächlich nahm sie sich vor, künftig bei jedem Einstellungsgespräch mit potenziellen Dienstboten folgende Frage zu stellen: Du befindest dich auf der Jacht deiner Herrin und bereitest dich auf ihr petit levée vor, als das Schiff plötzlich von englischen Seesoldaten geentert und unter dem Feuer von Küstenbatterien

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