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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Paisas Lösegeld ein.
    »Uns wurde – vorausgesetzt, ich habe die Zeichen richtig gelesen – eine Möglichkeit angeboten, uns für Geld umbringen zu lassen«, verkündete Jack.
    Padraig blickte aufmerksam auf.
    Der blutige Oberschenkelknochen eines Rinds fiel vom Himmel
aufs Pflaster, wo er zersplitterte. Zwei Bartgeier stritten sich um das Mark.
    »Hier oder woanders?«, fragte Padraig und beobachtete ungerührt die Geier.
    »Woanders.«
    Padraig ließ die Maus frei.
     
    Die Karawanserei mit ihren vielen Balkonen und Quartieren breitete sich unregelmäßig an der Südseite des Maidan Schah aus und war ganz von fein behauenen Steinmauern umgeben. Hinein gelangte man jedoch durch einen oktogonalen Vorbau, der von einer Zwiebelkuppel gekrönt war. Vier Seiten des Vorbaus waren zur Straße hin offen, und vier waren Bogengänge, die Zutritt zu dem Gebäude selbst oder zum in der Mitte gelegenen Hof gewährten, wo Schlangen von Pferden und Kamelen sich sammelten oder auflösten und be- oder entladen wurden. In diesem Hof nun stießen sie auf den Palankin von Surendranath. Der Banyan selbst verhandelte gerade mit einem einäugigen Pathan über zwei Pferde, und als er Jacks und Padraigs Verfassung sah, beschloss er, ihnen auch ein paar Kleider zu kaufen. Diese erwiesen sich als lange Jacken über weiten Hosen und Turbane zum Schutz ihrer Köpfe.
    »Jetzt, wo wir nicht mehr im Insektenfuttergeschäft sind, werden wir unsere Haare wieder wachsen lassen müssen«, sinnierte Jack, als sie über die Kahtiawarstraße aus der Stadt hinaus-, das heißt, in leicht südwestliche Richtung ritten.
    »Mit etwas Anstrengung hätte ich euch europäische Kleider besorgen können, aber ich wollte nicht mehr Zeit als unbedingt notwendig an diesem Ort des Simoom verbringen«, brüllte Surendranath und umklammerte die Geländersäulen seines Palankins, der von einem weiteren Windstoß geschüttelt wurde. Blätter von exotischen Bäumen, spiralförmig gewunden und spitz wie die Muscheln von Meerestieren, sausten über ihre Köpfe hinweg und wirbelten wie wild die Straße hinunter. Jack und Padraig ritten neben Surendranaths Palankin her, und drei von den Helfern des Banyan folgten ihm zu Fuß mit zwei schwer beladenen Packeseln.
    »Mit dem Wind im Rücken ist es gar nicht so schlimm«, sagte Padraig; aber nur, weil er sich etwas darauf einbildete, immer das Beste aus unangenehmen Situationen zu machen. Tatsächlich lag an der Straße zum Kathiawar-Tor viel, was malerisch gewesen wäre, hätten sie nicht
so viel Staub in den Augen gehabt: riesige Gärten von wohlhabenden Banyans und Mongolen, Moscheen, Pagoden, Wasserbehälter und Brunnen.
    »Mit Ahmedabad im Rücken wird es besser werden«, sagte Surendranath. »Kathiawar ist einigermaßen zivilisiert, so dass wir auf die übliche Charan -Eskorte verzichten können. Wenn wir jedoch unsere Reise in den Nordosten antreten, müsst ihr euch als Europäer kleiden, um die Marathen einzuschüchtern.«
    »Nordosten..., dann ist unser Ziel also Shahjahanabad?«, fragte Jack.
    »Er würde lieber Delhi sagen«, warf Padraig ein, als Surendranath nicht antwortete.
    »Natürlich, er ist ja Hindu, und Shahjahanabad ist der mongolische Name«, erwiderte Jack. »Als Ire musst du’s ja wissen.«
    »Die Engländer haben unseren Städten alle möglichen Phantasienamen gegeben«, räumte Padraig ein.
    »Die Regenzeit hat dieses Jahr viel Wertvolles aus dem Westen gebracht, aber das alles liegt aufgestapelt in den Lagerhäusern in Surat«, sagte Surendranath. »Shambhaji und seine Rebellen haben die Reise nach Delhi zu einem gefährlichen Unterfangen gemacht. Nun haben mir Seeleute, die weit hinunter in den Süden gesegelt sind, von merkwürdigen Vögeln erzählt, die dort auf Eisschollen leben. Wenn diese Vögel hungrig werden, versammeln sie sich am Rand der Eisscholle und starren sehnsüchtig auf die kleinen Fische, die unten im Wasser schwimmen, fürchten sich aber gleichzeitig vor den gierigen Räubern, die auch dort lauern. Die Jäger sind raffiniert, sodass die Vögel nicht wissen können, ob einer von ihnen im Wasser auf sie wartet. So warten sie, bis ein außergewöhnlich kühner – oder außergewöhnlich dummer – Vogel allein hineinspringt. Wenn dieser Vogel mit einem Bauch voller Fische zurückkommt, springen sie alle hinein. Kommt dieser Vogel nicht zurück, warten sie.«
    »Der Vergleich ist klar«, sagte Jack. »Die Kaufleute von Surat sind wie die Vögel auf der Eisscholle; sie warten ab, bis

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