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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Götzendiener und seiner Frauen in Paradeformation vorbeiziehen konnten. Dann gab es noch ein paar niedrige, unscheinbare Gebäude, in denen die Kotwals Gericht hielten und über jeden, der nicht ihren Verhaltensmaßregeln entsprach, die Bastinado verhängten. Diese mied Jack.
    Mehrere Hindu-Pagoden hatten einst um den Maidan Schah gestanden und taten es auch immer noch; aber jetzt waren sie Moscheen. Jacks Wissen über die lokale Geschichte beschränkte sich auf das, was er in Gesprächen mit holländischen, französischen und englischen Kaufleuten mitbekommen hatte. Er konnte sich aber zusammenreimen, dass dieser Schah Jahan einen Knaben namens Aurangzeb hervorgebracht und so gründlich verachtet hatte, dass er ihn zum König von Gujarat gemacht hatte, was bedeutete, dass dieser in die »Wohnstatt der Krankheit« (noch einer von Jahangirs Kosenamen für Ahmedabad) kommen, hier residieren und sich ständig mit den Marathen schlagen musste. Aurangzeb hatte sich allerdings später für diese Gunst gerächt, indem er seinen Vater gewaltsam entmachtete und in eine Gefängniszelle in Agra warf. Bis dahin waren ihm jedoch viele Jahre in der ungeliebten Wohnstatt der Krankheit beschieden, in denen er seine ohnehin schon starke Abneigung gegen alles Hinduistische weiter ausfeilte. So hatte er mitten in der größten Hindu-Pagode eine Kuh geschlachtet und sie damit für immer geschändet und war obendrein noch mit einem Schmiedehammer durch die Gegend gelaufen und hatte allen Götzen die Nasen abgeschlagen. Jetzt war die Pagode eine Moschee. Jack warf im Vorbeigehen einen Blick hinein und sah die übliche Menge von Fakiren – vielleicht zweihundert -, die mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Marmorfußboden saßen. Manche von ihnen waren blutige Anfänger. Andere hatten das schon so lange gemacht, dass ihre Gelenke in dieser Stellung erstarrt waren. Und die hatten Bettlerschalen vor sich stehen, in denen immer ein paar Rupien lagen, und von Zeit zu Zeit brachten Junior-Fakire ihnen Wasser oder etwas zu essen.
    Manche Fakire waren Hindus. Nachdem ihre Tempel entweiht worden waren, hatten sie keinen zentralen Versammlungsort mehr. Stattdessen waren sie, unter Bäumen oder im Schutz von Mauern, rund um den Maidan Schah verstreut, wo sie auf verschiedene Arten Buße taten, von denen manche mehr und manche weniger bizarr
waren als die der mohammedanischen Fakire. Das gemeinsame Ziel aller Fakire bestand darin, den Leuten Geld zu entlocken, und nach dieser Definition waren Jack und Padraig auch Fakire.
    Nach einigen Minuten der Suche fand Jack seinen Partner, der zwischen den zwei Baumreihen am Rand des Maidan Schah saß. Zufällig hatte Padraig einen Fleck an der südlichen Seite des Platzes unter einem der vorspringenden Balkone der Karawanserei gewählt. Vielleicht war es aber auch kein Zufall. Es war eins der schöneren Gebäude der Stadt. Es zog die wohlhabenden Männer, die Ahmedabad am Laufen hielten, genauso an, wie es in Amsterdam der Damplatz tat. Jack und Padraig in ihrem derzeitigen Zustand bedeutete weder seine Schönheit noch sein Wohlstand sonderlich viel. Aber wenn sie hier herumlungerten, konnten sie Karawanen aus Lahore, Kabul, Kandahar, Agra und sogar noch weiter entfernten Orten kommen sehen: Chinesen, die ihre Seidenstoffe von Kashgar durch die kargen Bergregionen um Leh heruntergebracht hatten, Armenier, die sich aus ihrem Ghetto in Isfahan weit nach Osten aufgemacht hatten, und Turkmenen aus Buchara, die wie ärmere und kleinere Versionen der mächtigen türkischen Herrscher von Algier wirkten. Die Karawanserei erinnerte sie mit anderen Worten daran, dass es, zumindest theoretisch, doch möglich war, dem »Dornenbett« (wie Jahangir Ahmedabad in seinen Memoiren genannt hatte) zu entrinnen.
    Padraig saß im Schneidersitz auf einem Stück Teppich (oder genauer gesagt, dem groben Webstoff, in dem Teppiche geliefert wurden). Er hatte eine gefangene Maus, einen Stein und eine Schale. Wenn er sah, dass ein Fußgänger sich näherte, der mutmaßlich Brahmane war, hielt er die Maus am Boden fest und hob den Stein, als wollte er sie damit zerschmettern. Natürlich tat er das nie wirklich , und ebenso wenig Jack, wenn er an der Reihe war. Wenn sie die Maus zerschmetterten, würden sie von dem Brahmanen kein Geld bekommen, und außerdem müssten sie wertvolle Zeit darauf verwenden, eine Ersatzmaus zu finden. Indem sie aber den ganzen Tag lang gewissenhaft drohten , die Maus zu töten, nahmen sie ein paar

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