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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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gereichte, mich eifersüchtig zu machen, war er auf einmal der vollkommenste edle Ritter der Meere.«
    »Dann werde ich es erklären, denn es liegt kein Widerspruch vor. Aber legt zuerst diesen Überrock ab, und dann wollen wir es uns ein wenig bequemer machen.«
    »Die Doppeldeutigkeit ist vermerkt«, sagte Rosignol knapp. »Aber ehe es mir gefährlich bequem wird, sagt mir doch bitte, was tut Ihr in der Residenz des Marquis und der Marquise d’Ozoir? Denn dort befinden wir uns, nach dem Wappen am Tor zu urteilen.«
    »Ihr habt das Wappen korrekt dechiffriert«, sagte Eliza. »Unbesorgt, die d’Ozoirs sind im Augenblick nicht da. Nur ich und meine Dienstboten.«
    »Aber ich dachte, Ihr wärt auf einem Schiff gefangen und hättet keine Dienstboten, oder habt Ihr das nur geschrieben, damit ich umso schneller hierherkomme?«
    Eliza packte Rossignol am Handgelenk und zog ihn durch eine Tür. Sie hatten sich in einem Foyer unterhalten, das eine Verbindungstür zu den Stallungen hatte. Nun führte sie ihn einen Flur entlang in einen kleinen Salon und von dort in einen größeren Wohnraum, der sein Licht durch mehrere große, auf den Hafen gehende Fenster empfing.

    Irgendwann in seiner Geschiche war Dünkirchen wohl einmal der passende Name für diesen Ort gewesen. Denn er bedeutete wörtlich Dünenkirche, und man konnte ihn sich, wenn man einige Jahrhunderte zurückging, mühelos als Düne mit einer Kirche darauf, davor oder daneben und nichts weiter als einem unscheinbaren Bach vorstellen, der hier – weniger von der Schwerkraft getrieben als vielmehr durch Zufall hineinstolpernd – das Meer erreichte. Diese öde Landschaft aus Düne, Kirche und Bach war im Laufe der Jahre durch die Hütten, Häuser, Piers und Lagerschuppen eines bescheidenen Fischerund Schmuggelhafens komplizierter, aber niemals unkenntlich gemacht worden. In jüngerer Zeit war man dahin gekommen, den Ort als strategischen Aktivposten zu betrachten, weshalb sich England und Frankreich eine Zeit lang darum kabbelten; Ludwig XIV. hatte ihn zwangsläufig an sich gebracht und damit begonnen, ihn zu einer base navale auszubauen, was ein bisschen so war, als bestückte man ein Fischerboot mit Geschützen und Panzerplatten. Auf jeden, der sich dem Ort von England her näherte, wirkte er durchaus Furcht erregend, mit einer wuchtigen, starken Feldsteinmauer entlang dem Ufer, dazu gedacht, Kanonenkugeln abprallen zu lassen, und diversen Festungswerken und Batterien, die überall da angelegt waren, wo der Sand ihr Gewicht zu tragen vermochte. Doch von innen gesehen – und so sahen ihn Eliza und Monsieur Bonaventure Rossignol – wirkte er wie ein vollkommen unschuldiges kleines Hafenstädtchen, das man in ein Gefängnis geworfen oder um das man ein Gefängnis errichtet hatte.
    Das alles hieß, dass hier weder jetzt noch in Zukunft jemals ein großer Herr ein prächtiges Château erbauen oder eine große Dame einen duftenden Garten anlegen würde; zwar mochten diese Dünen mit Wachtürmen und Mörserbatterien gesprenkelt sein, doch kein großer maréchal würde sie je mit einer hohen Zitadelle zum Schrecknis machen. Der Marquis und die Marquise waren so klug gewesen, dies einzusehen, und hatten sich deshalb damit begnügt, ein Gelände mittendrin, in der Nähe des Hafens, zu erwerben und es zu verschönern, indem sie eher um- als neu bauten. Das Äußere des Haupthauses war immer noch alter normannischer Fachwerkstil, was man jedoch niemals ahnen würde, wenn man nur das Innere sähe, das im barocken Stil renoviert war – oder diesem doch so nahe kam, wie es ohne Verwendung von Stein nur möglich war. Viel Holz, Farbe und Zeit war aufgewendet worden, um Pilaster und Säulen, Wandpaneele und Baluster
zu verfertigen, die als römischer Marmor durchgingen, solange man nicht vor sie hintrat und mit dem Knöchel dagegenklopfte. Rossignol hatte so viel Anstand, dies nicht zu tun, und widmete sich stattdessen dem, was Eliza ihm zeigen wollte: der Aussicht aus dem Fenster.
    Von hier aus überblickten sie den größten Teil des Hafenbeckens: ein durch Ausbaggern vertieftes und durch Molen, Dämme, Landungsstege und Kaimauern zum Labyrinth gewordenes Bassin. Dahinter war die Sicht durch die geradlinige Steilwand der Festungsmauer abgeschnitten. Eliza musste ihrem Gast nicht erklären, dass ein Teil des Beckens noch immer von dem gewöhnlichen seefahrenden Volk genutzt wurde, das dort seit jeher gelebt hatte, während ein anderer der Marine vorbehalten war; so viel

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