Confusion
Sorge getragen, dass sämtliche Einkünfte des Königs, die über diesen Hafen hereinkommen, einer ihm genehmen Bestimmung zugeführt werden. Auch er hat Euren Namen erwähnt; denn er weiß von meiner leidenschaftlichen, ganz und gar unpassenden und skandalösen und (bislang) unerwiderten Zuneigung zu Euch.
Nun ist seit einigen Wochen praktisch nichts Wertvolles nach Dieppe oder Le Havre gelangt, da beide Städte von den Engländern in der bereits beschriebenen Weise angegriffen, bombardiert und in Brand gesteckt wurden. Diese Störungen haben mich nicht gehindert, meinem Gewerbe nachzugehen, und so habe ich im gleichen Zeitraum viele Schätze gewonnen, die ich gern entladen hätte. Stattdessen habe ich sie gezwungenermaßen in den Laderäumen diverser Schiffe aufbewahrt – die, weil es sich um bewegliche Ziele handelt, vor der britischen Marine völlig sicher sind. Im Laderaum meines Schiffes Alcyon etwa, auf dem ich gerade sitze und diese Worte schreibe, sind Silber und Gold im Wert von einer Dreiviertelmillion livres tournoises gelagert. Solche Schätze entlade ich nicht in Dünkirchen, denn sosehr ich meine Heimatstadt auch liebe, ihre Landverbindungen mit Frankreich sind zu dünn und wimmeln von Straßenräubern und Landstreichern. Dieppe oder Le Havre wären, weil näher an Paris, besser – aber welche von beiden?
Es liegt mir fern, den contrôleur-général zu verstimmen, weshalb Le Havre die naheliegende Wahl wäre – doch vor wenigen Wochen habt Ihr mir die Ehre erwiesen, Euch von mir nach Hamburg eskortieren zu lassen, damit Ihr bei den Tataren, den
Kosaken oder den Deutschen (als einem Seefahrer sind mir die feinen Unterschiede, die ein Geograph zwischen diesen landumschlossenen Stämmen treffen mag, nicht gegenwärtig) irgendein Geschäft erledigen könnt. Es geht das Gerücht, Ihr wärt in der Nähe von Leipzig, dem Wohnsitz von Lothar von Hacklheber. Es scheint also, dass das, was ich mit dem Gold und Silber in meinem Laderaum anfange, für Euer Unternehmen Konsequenzen haben muss. Aber ich kann beim besten Willen nicht ausmachen, welcher Art diese Konsequenzen sein könnten und wie ich am besten verfahre.
Kurzum, ich bin von Menschen umgeben, die viel von mir verlangen, mir aber nichts geben, was ich begehre. Fern seid Ihr, Madame, die Ihr mehr für mich getan habt als jeder andere lebende Mensch – und alles schlicht deshalb, weil Ihr in mich vernarrt seid (macht Euch nicht die Mühe, es abzustreiten!). Und doch habt Ihr nie etwas von mir verlangt. Und deshalb seid es paradoxerweise Ihr und kein anderer, nach dessen Wünschen ich mich in dieser Sache richten werde. Ich hoffe, dieses Schreiben findet Euch bei guter Gesundheit auf der Krim, in Turkestan, der Äußeren Mongolei oder wohin es Euch auch verschlagen hat. Bitte wisst, dass ich Bescheid von Euch erwarte, ob ich als Nächstes Dieppe, Le Havre oder einen anderen Hafen anlaufen soll.
Euer tumeszenter Liebessklave
(Kapitän) Jean Bart
Leipzig
MAI 1694
Warum also sollen wir den Kommerz als niedrige Betätigung und die Welt des Handels als gewöhnlich verachten, wo doch nach allgemeiner Meinung der Reichtum der Welt aus dem Handel erwächst?
DANIEL DEFOE, A Plan of the English Commerce
Prinzessin Wilhelmina Caroline von Brandenburg-Ansbach zog die Nase kraus und warf ihren Zopf nach hinten über die Schulter. »›In
hohen Prachten‹ – ist das so etwas wie ein französisches Idiom? Ich werde einfach nicht schlau daraus.«
»Ach was! Es ist eine Schwachköpfigkeit, die Kapitän Bart am Ende eingeworfen hat, denn er wusste, er musste den Brief zu Ende bringen, aber er wusste nicht, wie, wurde von Verzweiflung gepackt und verlor den Verstand. Gott sei Dank ist er in der Schlacht ausgeglichener! Bitte haltet Euch nicht, weiter damit auf, Eure Hoheit...«
»Warum nennt Ihr mich so? Das ist sonderbar. Hört auf damit!«
»Ihr seid eine Prinzessin von Geblüt und eines Tages höchstwahrscheinlich eine Königin. Ich bin eine ernannte Gräfin.«
»Aber für mich seid Ihr Tante Eliza!«
»Und für mich seid Ihr mein kleines Eichhörnchen. Dennoch seid Ihr nun einmal eine Prinzessin, ob es Euch gefällt oder nicht, und werdet eines Tages jemanden heiraten müssen.«
»Wie es meiner Mutter geschehen ist«, sagte Caroline mit plötzlichem Ernst.
»Bitte vergesst nicht, dass es zwei Mal geschehen ist. Beim zweiten Mal musste sie jemanden heiraten, der nicht zu ihr passte. Beim ersten Mal aber war sie in einer guten Ehe – mit Eurem
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