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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Vater -, aus der eine ganz und gar wunderbare Prinzessin hervorging.«
    Davon errötete Caroline und senkte den Blick auf den Kutschenboden.Von draußen ertönte ein Peitschenknall, und der Wagen ruckte an. Sie waren eine Zeitlang vor dem Nordtor von Leipzig aufgehalten worden. Carolines Augen hoben sich vom Boden und schimmerten im Licht der Fenster. Eliza fuhr fort: »Warum geriet Eure Mutter später in eine schlechte Ehe? Weil bestimmte Dinge für sie ungünstig verlaufen waren – größtenteils Dinge, gegen die sie machtlos war -, und so blieb ihr am Ende in dieser Sache kaum eine Wahl. Warum nun, glaubt Ihr, lasse ich Euch meine Privatkorrespondenz mit Kapitän Bart lesen? Um Euch auf dem Weg nach Leipzig die Zeit zu vertreiben? Nein, denn wenn es uns nur darum ginge, könnten wir auch Karten spielen. Nein, ich zeige Euch diese Dinge, weil ich Euch etwas beibringen möchte.«
    »Was denn genau?«
    Das war eine gute Frage, die Eliza innehalten ließ. Ein paar Momente lang waren in der Kutsche nur die Laute zu hören, die von draußen hereindrangen: das Klappern beschlagener Hufe, das Knirschen von Radreifen auf der Straße, das Quietschen und Ächzen der Aufhängung. Ein Schatten hüllte sie ein und blieb dann hinter ihnen zurück: Sie waren durch das Tor nach Leipzig gefahren.

    » Seid aufmerksam, das ist alles«, sagte Eliza. »Achtet darauf, was vorgeht. Verbindet die Vorgänge miteinander.Verbindet sie zu einem Bild. Überlegt, wie sich das Bild ändern ließe; und handelt entsprechend. Einige Eurer Handlungen mögen sich später als töricht herausstellen, andere aber werden sich auf überraschende Weise für Euch auszahlen; und in der Zwischenzeit genießt Ihr einfach dadurch, dass Ihr aktiv anstatt passiv seid, eine Art Immunität, die schwer zu erklären ist...«
    »Onkel Gottfried sagt: ›Alles, was handelt, lässt sich nicht zerstören. ‹«
    »Der Doktor meint das in einem ziemlich engen und theoretischmetaphysischen Sinn«, sagte Eliza, »aber es ist nicht der schlechteste Wahlspruch, den man sich zu eigen machen kann.«
    Und nun griff sie sich zum zehnten Mal in ebenso vielen Minuten ins Gesicht, um es zu betasten und daran zu kratzen. Es war an einem halben Dutzend Stellen mit kleinen, runden Filzscheiben beklebt; sie bedeckten kraterartige Vertiefungen, welche die Pocken in ihre Haut gebohrt, unerfreulicherweise aber nicht wieder aufgefüllt hatten, ehe ihr Körper die Krankheit losgeworden war.
    Was sie vom Verlauf der Krankheit wusste, hatte sie größtenteils aus zweiter Hand, nämlich von Eleonore und dem Arzt, der gekommen war, um sie zu behandeln. Sie selbst war in eine Art Dämmerschlaf gefallen. Ihre Augen waren offen gewesen, und Eindrücke hatten ihren Verstand erreicht, doch die Zeitspanne, die sie in dieser Trance zugebracht hatte – etwa eine Woche -, erschien ihr gleichzeitig sehr lang und sehr kurz. Sehr kurz, weil kaum etwas davon in ihrem Gedächtnis haften geblieben war – mittlerweile war es für sie die Zeit, »als ich Pocken hatte«. Sehr lang, weil sie in dieser Zeit jedes Ticken der Uhr gehört und die Entstehung jeder Pockenpustel gespürt, ihr Wachstum, das Abschälen von Hautschichten als langsame, ständige Qual wahrgenommen hatte, die jedes Mal aufflammte, wenn zwei Pusteln einander fanden und verschmolzen. An manchen Stellen – besonders im unteren Teil ihres Rückens – hatte sich dieses Aufflammen zu einem ausgedehnten Feuer gesteigert. Zwar hatte Eliza zu sehr deliriert, um es zu wissen, doch dies waren die Momente gewesen, in denen es auf des Messers Schneide gestanden hatte, denn wenn sich dieses Feuer weiter ausgebreitet oder stärker gebrannt hätte, hätte sich ihre Haut gelöst und sie hätte nicht überlebt.
    Zu solchen Zeiten war ein Arzt erschienen und hatte einem Zimmer voller händeringender, der Kranken nahestehender Menschen
gesagt, der Fall sei sehr ernst und das Leben der Patientin hänge an einem seidenen Faden. Hätte sich ihr Zustand weiter verschlechtert, wäre davon die Rede gewesen, dass »mit dem Schlimmsten gerechnet werden« müsse, und alle hätten gewusst, dass die Krankheit in das finale Stadium getreten war. In Elizas Fall war es nicht dazu gekommen. Das Schicksal hatte eine Münze geworfen, und sie war mit der Kopfseite nach oben gelandet. Die Krankheit hatte den unteren Teil ihres Rückens sowie Teile von Armen und Beinen fast abgehäutet und auch innerlich Schäden angerichtet. Aber sie hatte das Augenlicht verschont und

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