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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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nachgelaufen und wurde ihrerseits von Kindermädchen und von Elizas Wachen verfolgt, die Befehl hatten, Adelaide nicht aus den Augen zu lassen, solange man sich auf dem feindlichen Territorium von Leipzig befand. Der Organist bemerkte dies alles und nahm die Hände von den Manualen; das kehlige Dröhnen der Orgelpfeifen verklang, und in der stillen Luft der Kirche war nur das leise Zischen irgendeines Lecks in einem Ventil und das Keuchen
zweier pummeliger Schuljungen zu hören, die dazu verdonnert worden waren, die Blasebälge zu bedienen. Eliza applaudierte, und einen Moment später folgte Caroline, als sie den Organisten erkannte, ihrem Beispiel.
    »Madame. Mein Fräulein«, sagte Gottfried Wilhelm von Leibniz zu Eliza bzw. Caroline; dann, zu Adelaide: »Mein Fräulein.« Und dann, zu Eliza: »Es tut mir leid, dass Euer Eintritt in die Nikolaikirche, der ein Augenblick ungetrübter Anmut und Schönheit hätte sein müssen, von meiner Stümperei getrübt wurde.«
    »Aber nicht doch, Doktor, es ist so still in der Stadt, Eure Musik bringt Leben hinein. War das eine neue Passacaglia von Herrn Buxtehude?«
    »Ganz recht, Madame. Sie gelangte in der Tasche eines Kaufmanns aus Lübeck hierher, der sie drucken lassen und in vierzehn Tagen auf der Messe verkaufen will; ich habe mir ein Exemplar der Druckfahnen besorgt und meinen alten Schulmeister, Herrn Schmidt« – der alte Mann im Talar verbeugte sich -, »bewogen, mich die Melodie zusammensuchen zu lassen, während ich auf Euer Eintreffen wartete.«
    Leibniz stieg eine Treppe auf den Boden der Kirche hinab, und es folgte ein ausführliches Verbeugen, Knicksen, Händeküssen und Baby-Bewundern. Leibniz’ Blick verharrte auf Elizas Gesicht, allerdings nicht lange genug, um anstößig zu sein. Dass er wissen wollte, was die Pocken bei ihr angerichtet hatten, war zu erwarten, und Eliza fand sich damit ab, dass er sie betrachtete. Er würde bald in Städte wie Hannover und Berlin zurückkehren und die Nachricht verbreiten, dass die Herzogin von Arcachon und von Qwghlm die Krankheit mit nur leichten Entstellungen überstanden hatte; dass sie noch sehen konnte und dass ihr Verstand nicht gelitten hatte.
    »Ich habe mich an meinen ersten Besuch in dieser Stadt – und meine erste Begegnung mit Euch – vor zehn Jahren erinnert, Doktor«, sagte Eliza.
    »Genau wie ich, Madame. Aber heute ist natürlich so vieles anders. Ihr habt erwähnt, dass es in der Stadt still sei. In der Tat. Ihr werdet vermutet haben, dass es daran liegt, dass die Frühjahrsmesse noch nicht begonnen hat. Jedenfalls habe ich das angenommen, als ich vor einigen Wochen hierherkam. Aber inzwischen habe ich erfahren, dass die Stille mehr Gründe hat, als sich dem Auge darbieten. Der Handel ist fast völlig zum Erliegen gekommen...«
    »Aufgrund eines mysteriösen, schweren Mangels an Metallgeld«,
sagte Eliza, »der sowohl Ursache als auch Wirkung ist; denn alle, die davon erfahren, werden wie durch einen Zauberspruch in Geizhälse verwandelt und horten, was sie an Münzen, Tafelgeschirr oder Barren besitzen.«
    »Wie ich sehe, seid Ihr mit dem Leiden vertraut«, sagte Leibniz trocken. »Genau wie unser Freund Dr. Waterhouse; denn er sagt mir, dass sich die Plage bis nach London ausgebreitet hat.«
    »Manche würden sagen, sie sei von dort ausgegangen«, sagte Eliza.
    »Andere sagen, von Lyon«, versuchte es der Doktor und musterte Elizas Gesicht ein wenig zu scharf.
    »Jetzt fischt Ihr«, sagte Eliza. Leibniz wurde aus dem Konzept gebracht, aber nur für einen Augenblick; dann schmunzelte er.
    »Wonach fischt er? Ist das wieder so ein idiomatischer Ausdruck?«, wollte Caroline wissen.
    »Er hält mir einen Köder hin, um festzustellen, ob ich anbeiße; denn einige Handelshäuser in dieser Stadt haben seit langem bestehende Beziehungen zum Dépôt von Lyon, und wenn Lyon bankrott ist, dann hat das auch hier Konsequenzen. Habt Ihr Freunde in Leipzig, Doktor, die nach Nachrichten gieren?«
    »Ich würde sie nicht direkt Freunde nennen; jedenfalls nicht mehr.«
    »Nun, ich habe Feinde hier. Feinde und einen Jungen, der seit drei Jahren und sieben Monaten seine Mutter nicht mehr gesehen hat. Ich muss mich darauf vorbereiten, mit ihnen zusammenzutreffen. Wenn Ihr so freundlich wärt, Euch für einige Stunden der Prinzessin anzunehmen...«
    »Nein.«
    »Wie bitte?«
    »Ihr befindet Euch im Irrtum. Kommt mit.« Und Leibniz kehrte ihr – eine grobe Unhöflichkeit – den Rücken zu und ging den Mittelgang entlang

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