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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Goldes bei Bonanza hat mich in eine rachsüchtige Wut versetzt, die mich lange Zeit nachts wachgehalten, alle meine Tage ausgefüllt und mich dazu getrieben hat, Euch so schwer zu verletzen, wie ich mich von Euch verletzt wähnte. Ich wollte, dass Ihr meinen Zorn ermessen könnt. Dann habt Ihr Euch daran gemacht, mich über einen Zeitraum von Jahren geschickt und systematisch zu vernichten. Ihr habt meine eigene Gier als Waffe gegen mich verwendet. Und wenn ich Euch zufrieden erscheine, so liegt das zum Teil daran, dass ich einen Sohn habe. Zum Teil liegt es aber auch an Euch, Eliza, an Eurer barocken
Wut, die Ihr so lange aufrechterhalten und auf so barocke Weise zum Ausdruck gebracht habt. Ihr habt gezeigt, zum Ausdruck gebracht, was ich einmal empfunden habe; und daran erkannte ich, dass ich Euch getroffen hatte, dass zwischen uns ein Funke übergesprungen war.«
    »Na schön. Genug davon. Habt Ihr, Lothar, eine überzählige banca, wo ich mich ein paar Minuten hinsetzen und einen Brief schreiben könnte?«
    Lothar breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben gedreht, als übergäbe er ihr das Haus. »Sucht Euch eine aus, Madame.«
     
    Ohne diese Geste Lothars hätte sie Dreschflegel-Arm nicht bemerkt, so verstohlen hatte sich der große, schwere Amputierte in das Haus geschlichen. Doch wie es der Zufall wollte, drehte sie sich auf den Fußballen um, um in den Hof zu schauen, und sah aus dem Augenwinkel, dass etwas Neues zu dem Flohmarkt hinzugekommen war: ein hochgewachsener Mann mit einem Bart, der sich diesen Moment ausgesucht hatte, um hinter einer Kiste hervorzutreten. Wie vorhin hielt er einen langen Wanderstab in der Hand; doch nun war an dessen Ende etwas befestigt: die blattförmige Spitze einer Harpune, deren Doppelschneide blank war, wo der Wetzstein sie geschärft hatte. Diesen Stab wog er in der Hand, hob ihn auf Schulterhöhe und schwang den glänzenden Natternkopf herum, sodass er auf Lothars Herz zeigte.
    Nun endlich befolgte Eliza – die Caroline noch vor einigen Stunden gepredigt hatte, wie wichtig es sei, darauf zu achten, was vorging, und das Vorgegangene miteinander zu verbinden – ihren eigenen Rat. Es ließ sich nicht sagen, wie lange sie gebraucht hätte, um Dreschflegel-Arm als Jewgeni den Raskolnik zu erkennen, wenn er nicht plötzlich mit einer Harpune in der Hand aufgetaucht wäre und sich angeschickt hätte, Lothar zu töten; doch diese beiden Daten gaben den Ausschlag. Sie erinnerte sich jetzt, wie sie diesen Jewgeni in Amsterdam in Gesellschaft von Jack gesehen hatte. Sie hatte sich sogar seine Harpune geborgt und sie in einem Anfall von Gekränktheit auf Jack geschleudert. Jewgeni musste Mitglied von Jacks Piratenbande geworden sein und war es vielleicht immer noch. Er musste die Gruppe aus irgendeinem Grunde verlassen haben und in die Christenheit gekommen sein. Er hatte ein Auge auf Eliza gehabt und sich infolgedessen in Leipzig wiedergefunden, vor dem Haus des Mannes, der, wie er annahm, Jacks schlimmster Feind war. Und nun war er noch etwa
drei Herzschläge davon entfernt, das zu tun, was jeder heißblütige Pirat tun würde, wenn sich ihm eine solche Gelegenheit bot.
    Das In-der-Hand-Wiegen und Ausrichten der Harpune war nur die erste Bewegung eines Vorgangs, der sich damit fortsetzte, dass der Werfende einige Schritte auf das Opfer zurannte. Außerdem streckte Jewgeni seinen Armstumpf aus, den er mit etwas verstärkt hatte, was wie eine Kanonenkugel am Ende eines Stockes aussah: ein Gegengewicht, um dem Wurf mehr Wucht zu verleihen. Eliza begann sich seitwärts auf Lothar zuzubewegen. Sie würde sich zwischen Harpune und Ziel stellen, und Jewgeni würde den Angriff abbrechen. Seine blauen Augen huschten kurz in ihre Richtung, während sie sich bewegte.
    Doch aus den Schatten der Galerie kam ein kleiner Mensch geflitzt. Dank seines fliegenden Starts war er imstande, auf und über die leere Schatulle neben Lothar und von dort aus auf die Balustrade zu springen, die den Hof umgab. Er hatte bereits einen Pfeil auf die Sehne seines kleinen Bogens gelegt, denn während Jewgeni durch den Hof geschlichen war und sich in Angiffsposition gebracht hatte, musste Johann ihm nachgepirscht sein, Gegenmaßnahmen geplant und auf seine Gelegenheit gewartet haben. Eliza, die ihn durch ihr Gesichtsfeld sausen sah, hatte bereits die Richtung gewechselt und dem Jungen beide Arme entgegengeworfen. Doch er spannte so rasch wie ein Fingerschnipsen den Bogen und löste den Pfeil. Die stumpfe

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