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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Spitze traf Jewgeni am Auge, als er gerade zum Wurf ansetzte. Das Gegengewicht fiel herab wie Thors Hammer. Sein Körper schnellte nach vorn. Der Arm zuckte wie eine Knute. Die Harpune flog los, sauste an Lothars Schulter vorbei und krachte in die banca hinter ihm. Lothar fiel auf den Hintern. Eliza, unfähig sich zu bremsen, prallte gegen Johann und stieß ihn vom Geländer; er fiel auf die staubigen Pflastersteine darunter und wurde zu einer einzigen großen Schürfwunde. Jewgeni war auf den Knien gelandet und starrte nach vorn. Eliza prallte mit dem Bauch gegen das Geländer, fiel darüber, stürzte kopfüber auf den Hof und fing mit den Händen ihr Gewicht ab.
    Sie, Johann und Jewgeni bildeten nun im Hof ein gleichseitiges Dreieck von etwa zwei Yard Seitenlänge. Lothar, auf seiner leeren Truhe thronend, schaute vollkommen verblüfft auf sie herab. Jewgeni war nicht weniger verdutzt. Johann rang immer noch nach Atem, um loszuheulen. Eliza, die gerade mit knapper Not dem Tod durch die Pocken entgangen war, war am wenigsten überrascht und rappelte sich als Erste auf. Sie machte einen Schritt auf Jewgeni zu. Sie konnte kein
Russisch und nahm an, dass er nur wenig Französisch konnte. Aber wenn er Galeerensklave in Algier gewesen war, musste er Sabir können; und so kratzte sie die paar Überreste dieser Sprache zusammen, die in selten aufgesuchten Winkeln ihres Gehirns zu finden waren, und sagte – leise, damit nur er es hörte – zu ihm: »Wenn Eure Loyalität Jack gilt, dann wisst, dass dieser Mann nicht mehr Euer Feind ist. Geht stattdessen nach Versailles und werft ein paar Harpunen auf Pater Édouard de Gex.«
    Jewgeni nickte ein einziges Mal, rappelte sich auf und begab sich auf die Höhe der Galerie, um sein Handwerkszeug aus dem von Lothar zu ziehen. Wegen der Widerhaken an der Spitze war dies nicht zu bewerkstelligen, ohne die banca halb zu zerstören, eine Aufgabe, für die Jewgeni hervorragend geeignetet war, insofern er die Kraft von zehn Männern und anstelle einer Hand eine Kanonenkugel besaß. In kürzester Frist erfolgte ein der Plünderung einer größeren Stadt entsprechendes Zersplittern und Zertrümmern; dann richtete er sich auf, die schreckliche Spitze in der Hand und den Schaft unter einen Arm geklemmt. Er wandte sich Lothar zu, bedachte ihn mit einem sehr höflichen Nicken und einer leichten Verbeugung und stakste mit einem Blick zum Himmel, um den Sonnenstand festzustellen, zum Haus vom Goldenen Merkur hinaus.
    »Wer war denn das!?«, fragte Leibniz. Er und Caroline hatten nichts von dem Harpunenangriff bemerkt, waren jedoch von der Zerstörung der banca angelockt worden.
    Eliza hatte Johann auf dem Arm; dieser war über das Weinen hinaus und befand sich in einer Art kindlichem Schockzustand.
    »Mein lieber Doktor«, antwortete sie, »wenn ich Euch jede Kleinigkeit erklären würde, würde ich Euch irgendwann langweilen, und Ihr würdet aufhören, mir diese charmanten Briefe zu schreiben.«
    »Ich möchte einfach aus praktischen Gründen wissen, ob Ihr noch von anderen riesigen Harpunieren mit Mordabsichten verfolgt werdet.«
    »Er ist der einzige, soviel ich weiß. Er heißt Jewgeni der Raskolnik.«
    »Was ist ein Raskolnik?«
    »Wie ich schon sagte, wenn ich Euch alles erklärte...«
    »Schon gut, schon gut, lasst nur.«

    Oftmals wacht unser Herz, wenn wir schlafen, und Gott kann – sei es durch Worte, Sinnsprüche, Zeichen und Gleichnisse – ganz genauso zu ihm sprechen, als wäre es wach.
    JOHN BUNYAN, Pilgerreise
    Sie entschied sich für einen alten Schreibtisch, den man auf den Hof geschleppt und sich selbst überlassen hatte. Es hatte darauf geregnet, das Holz hatte sich verzogen und war gesprungen, und die Schubladen klemmten. Aber die Sonne schien darauf, was sich auf Elizas Haut angenehm anfühlte.Von einer anderen banca holte sie ein Blatt Papier, und aus den Tiefen des Möbels, an dem sie saß, förderte sie ein gläsernes Tintenfass zutage, dessen Korken durch einen Überzug aus eingetrockneter Tinte festzementiert war. Am Ende bekam sie es nur so auf, dass sie das Stilett aus ihrer Taillenschärpe zog, die Kruste damit abkratzte und den Korken heraushebelte. Die Tinte war zähflüssig geworden. Sie verdünnte sie mit Spucke und nahm etwas davon mit einem Federkiel auf.
    Leibniz und Caroline saßen auf Kisten und hielten Unterricht: » Taktik«, sagte der Doktor, »ist das, was die Herzogin von Arcachon verfolgt hat; Baron von Hacklheber hat die Taktik zugunsten der

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