Confusion
den strikten Anweisungen des Fünften Gebots. »Dad!«, schrie er, stieg vom Pferd und ging mit ein paar großen Schritten zu dem Wagen hinüber. Er hob die Hand an Jacks Gesicht, als wollte er ihn zärtlich liebkosen – und klemmte dann den Kiefer seines Vaters zwischen Daumen und Fingern ein und riss seinen Kopf hierhin und dahin, um ihn sich genau anzuschauen. »Du trägst immer noch die Spuren der Schläge, die wir
dir verpasst haben – und jetzt sollst du sie am Ende noch mit ins Grab nehmen.«
»Für mich sind sie wie die süßen Küsse, die ich von euch beiden nie bekommen – und nie verdient – habe...«
»Oh Dad!«, rief Jimmy und drückte Jack einen direkt auf den Mund. Zum Glück für Jack dauerte er nur ein paar Sekunden – dann ächzte Jimmy, biss seinen Vater in die Lippe und drehte sich, die Arme an die Rippen gepresst, blitzartig von ihm weg.
Danny blickte kühl vom Pferderücken auf sie hinab, in der Hand einen Bogen, dessen Sehne noch zitterte. »Sag Bescheid, wenn du fertig bist, damit ich kotzen gehen kann. Und dann haben wir ein Hühnchen mit diesen Nayars – oder wie immer sie heißen – zu rupfen.«
Jimmy beugte sich steif nach vorne und hob den Pfeil auf, den Danny gerade in seine Rippen geschossen hatte. Dessen Spitze war stumpf.
»Nimm zwei – du wirst sie brauchen«, sagte Jack und reichte Jimmy den Pfeil, der ihm eine Prellung in der Magengegend verschafft hatte.
Ganz in der Nähe gingen einige Nayars mitten auf der Straße aufeinander los und stürzten sich in ein phantastisches Duell mit Bambusschwertern.
»Langsam gefällt mir diese Stadt hier!«, sagte Jimmy. »Können wir Feuerwaffen benutzen?«
»Ich glaube nicht, dass sie das besonders sportlich fänden«, antwortete Jack, während Danny einem stämmigen Nayar, der gerade aus einer Tür trat, einen stumpfen Pfeil in die Brust schoss. Daraufhin prasselten ein Dutzend Pfeile aus den Fenstern desselben Gebäudes und holten Danny aus dem Sattel.
»Ihr Bastarde!«, bellte Jimmy und hielt auf die Tür, bevor die Heckenschützen ihre Bögen ein zweites Mal spannen konnten.
»Geht jetzt spielen, Jungs«, sagte Jack – unnötigerweise. Er und Enoch gaben ihren Ochsen einen Klaps mit den Zügeln und setzten sich in Bewegung. Schon bald mündete die Straße in eine Art Hafenplatz, der aus den Mangroven herausgehauen worden war. Verschiedene kleine Flussboote und Küstenschiffe waren entlang dem Kai vertäut und erinnerten Jack auf unbestimmte Weise ans Themseufer. Wenn sie den Kopf drehten, konnten sie flussabwärts den Meeresarm sehen, der Königin Kottakkal als Haupt- und einziger Hafen diente. Ungefähr ein Dutzend größerer Schiffe lagen dort vor Anker, und ihr Aussehen ließ Enoch glucksen. »Nirgends habe ich eine buntere Sammlung
von Piratenschiffen gesehen – nicht in Dünkirchen, ja nicht einmal in Port Royal auf Jamaika. Türkische Galiots, arabische Dhaus, flämische Korvetten – gibt es irgendetwas, was sie nicht benutzen würden?«
»Geschütze tragen und schnell segeln zu können sind die einzigen Bedingungen«, sagte Jack. »Die Dhau, das zweite Schiff von links, hat sie uns abgenommen.«
Und dann wandten beide Männer automatisch ihren Blick nach Süden über den Fluss. Das gegenüberliegende Ufer war ein Felsenkliff, das durch die Strömung unterhöhlt war und sich dadurch leicht zu ihnen hin vorwölbte, bevor es sich ungefähr zehn Faden über ihnen zu einem Plateau erhob. Das war nicht sonderlich hoch, genügte aber, um mit Batterien von Achtundvierzigpfündern und Mörsern, die man hier und da aus den Schießscharten an den Ecken von Königin Kottakkals Palastmauern herauslugen sehen konnte, den Fluss und den Meeresarm zu kontrollieren. Es war schwer auszumachen, wo der Fels aufhörte und wo die Mauer begann, denn beide waren hinter einer dichten Matte aus miteinander verflochtenen Kletterpflanzen verborgen, die zum Teil die Stärke von Baumstämmen besaßen und mehrere Yard weit nach außen gewachsen waren. In diesem hängenden Dschungel war eine ganze Nation abenteuerlustiger Affen mit Greifschwänzen zu Hause. Die Kletterpflanzen, die auf der Befestigungsanlage der Königin wuchsen, gehörten zu verschiedenen Arten, schienen aber alle in Blüte zu stehen. Dabei handelte es sich nicht um Rosen oder Nelken, sondern um reife, tropfende, fleischige, süß leuchtende Blüten, so groß wie Kohlköpfe, gewachsen in Formen, von denen Euklid nicht einmal träumte, und angeordnet in Trauben, Netzen und
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