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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Brustwehr der Stadtmauer aus dem Schlaf geschreckt. Der Cheruman kippte ein Säckchen mit Geld auf dem Felsblock
aus: Kaurimuscheln, persische Bittermandeln und ein paar schwarze Kupfermünzen. Dann zog er sich zurück. Eine Minute später kam der Banyan heraus, stellte ein Bündel Waren ab, packte ein paar von den Muscheln, Mandeln und Kupfermünzen ein und ging wieder in die Stadt. Der Cheruman kam zurück und nahm das Bündel und alles, was der Banyan an Kleingeld dagelassen hatte, mit.
    »Kommt mir etwas umständlich vor«, bemerkte Danny mit ungläubiger Miene.
    »Ganz im Gegenteil, ich halte es für außerordentlich praktisch«, sagte Enoch Root. »Wenn ich zu einer kleinen Kriegerelite gehörte, wäre meine größte Angst die vor einem Bauernaufstand – Straßenüberfälle aus dem Hinterhalt und so weiter. Wenn ich das Recht hätte, jeden Bauern, der mir in Bogenschussweite über den Weg läuft, zu töten...«
    »Könntet Ihr Euch entspannen und das gute Leben genießen«, sagte Jimmy.
    Nachdem sie sich in der Stadt mit Lebensmitteln versorgt hatten, wandten sie sich gen Süden und folgten der Küste weiter nach Malabar hinein. Hin und wieder kamen sie an einem Verbrecher vorbei, den man gepfählt am Straßenrand dem Tod überlassen hatte, was den Eindruck nur bestätigte, dass sie sich jetzt in einem Land mit geordneten Verhältnissen befanden und kein übermäßiges Risiko eingegangen waren, als sie ihre Eskorte nach Hause schickten. So weit im Süden brannte die Sonne mörderisch, doch je weiter sie gingen, desto näher kamen sie der Lakkadiven-See mit ihren kühlen auflandigen Brisen, und außerdem war die Straße über weite Strecken von Palmyra-Palmen gesäumt, deren gewaltige Blätter riesige Schatten auf den Weg darunter warfen.
    Sie wussten, dass sie nicht mehr weit vom Hof der Königin Kottakkal entfernt waren, als sie am Straßenrand die ersten klapprigen Holzgestelle stehen sahen, auf denen ebendiese Palmblätter zum Trocknen und Weißwerden ausgelegt worden waren. Die Schreiber der Königin benutzten sie als Papier. Von weiter vorne war eine Menge Geschrei zu hören.
    »Warum brüllen die denn da so herum?«, fragte sich Danny.
    »Vielleicht ist gerade eines ihrer Schiffe, bis zum Schanzdeck mit Beute gefüllt, zurückgekommen«, sagte Jack, »oder vielleicht ist im Stadtpark ein Krokodil los.«
    Die Straße erweiterte sich zur Hauptstraße einer ziemlich großen
Hafenstadt, deren Häuser zum größten Teil aus geflochtenem Schilf bestanden. Hier und da standen auch Holzhäuser an der Straße, und diese wurden umso zahlreicher und größer, je näher sie dem Hafenviertel kamen: dem Ufer eines bedeutenden Flusses, der langsam und ruhig durch ein tief aussehendes Flussbett dahinströmte und eine Viertelmeile flussabwärts breiter wurde, um dann einen Meeresarm der Lakkadiven-See zu bilden. Die Stadt stand ganz sicher schon Ewigkeiten hier, erweckte jedoch den Eindruck, als wäre sie gerade erst mitten in einem uralten Wald errichtet worden, denn Riesenbäume – Teakholz-, Mango-, Mahua- und Mahagonibäume, Kokospalmen, Anogeissus-Latifolia- und ein oder zwei Banyan-Bäume von der Höhe einer Kathedrale – standen zwischen Häusern, über denen sie sich verzweigten und miteinander verschmolzen, um hoch über den Palmwedeldächern der Behausungen ein zweites Dach zu bilden.
    Junge Nayar-Männer rannten von Haus zu Haus und von Baumstamm zu Baumstamm, während sie sich in höchster Aufregung gegenseitig anbrüllten. Die Reisegruppe hatte das Hafenviertel gerade erst erblickt, als eine Schar von Nayar-Jungen aus einem Haus herausstürzte und, ohne sie auch nur im Geringsten zu beachten, an ihnen vorbeihastete. Wenige Augenblicke später prasselte auf diese Nayars von überall her ein Regen von Pfeilen herab, von denen manche zwischen den Shaftoes landeten und im weichen Boden stecken blieben.
    »Diese schwarzen Scheißkerle schießen auf uns!«, rief Jimmy, während er seine Pistole zog und den Hahn spannte.
    »Nicht nur auf uns, Jimmyboy«, sagte Jack mit bedrohlich ruhiger Stimme.
    Alle anderen drehten sich zu Jack um, der ausgestreckt in seinem kleinen zweirädrigen Wagen lag und beide Hände auf den Unterleib presste, wo ein Pfeil in rechtem Winkel aus seinem Körper ragte. »Das ist wirklich schade«, flüsterte er. »Den ganzen Weg hierherzukommen, um hier und jetzt zu sterben...«
    Wie ein Mann auf der Folterbank war Jimmy zerrissen zwischen dem Verlangen, ein paar Schwarze umzubringen, und

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