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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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außer sich sein vor Freude.«
    »Ich setze mein Vertrauen in Newton«, sagte Eliza.
    »Ihr sprecht von seiner neuen Position in der Münze.«
    »Ich dachte eher an den Kalkül.«
    »Wie das?«
    »Im Grunde ist das Ganze eine Frage von Ableitungen, nicht wahr?«
    »Finanziellen Ableitungen?«
    »Nein, mathematischen! Für jede Menge – oder sagen wir, Position – gibt es eine Ableitung, die ihren Wechselkurs darstellt. So wie ich es sehe, stellt Englands Bestand an Land eine feste Vermögensmenge dar. Den Handel aber sehe ich als Ableitung – er ist das Kurvengefälle, die Geschwindigkeit, der Wechselkurs des Nationalvermögens. Wenn der Handel stagniert, ist der Wechselkurs niedrig und das darauf gegründete Geld wertlos. Doch wenn der Handel blüht, gerät alles in rasche Bewegung, die Ableitung schnellt nach oben und das darauf gegründete Geld bekommt einen sehr viel höheren Wert. Sobald sich Newton in der Münze an die Arbeit macht, kann sich die Versorgung Englands mit Münzgeld nur verbessern. Der Handel, der bisher wegen Geldmangels stagnierte, wird zumindest kurzfristig einen Aufschwung nehmen. Der Wechselkurs zwischen diesen beiden Währungen wird sich wenigstens so lange umkehren, dass ich einen Gewinn erzielen kann.«

    »Das ist eine Betrachtungsweise, an die ich noch gar nicht gedacht hatte«, sagte Daniel, »und sie erscheint mir vernünftig. Aber falls Ihr jemals Gelegenheit habt, Isaac Eure Theorie darzulegen, hoffe ich, dass Ihr das Wort Fluxion anstelle von Ableitung verwenden werdet.«
    »Was ist eine Fluxion?«
    » Damit«, sagte Daniel, »habt Ihr das Problem auf den Punkt gebracht.«

Eine verlassene Kirche in Frankreich
    MÄRZ 1696
    »Ich will hoffen, dass du jetzt all die unschönen Dinge überdenkst, die du früher über Satan gesagt hast.« So begrüßte Anne-Marie de Crépy, Duchesse d’Oyonnax, ihren Cousin, als seine Augenlider – die vor drei Tagen von einem Jesuitenpater in Versailles geschlossen worden waren – sich zitternd öffneten.
    Pater Édouard de Gex blickte zu einem schwarzen, von der Öffnung seines Sarges gerahmten Himmel auf. Es handelte sich um ein für einen Jesuiten ungewöhnlich nobles Modell. Die Mitbrüder seines Ordens hatten ihn zunächst in eine spartanische Kiefernholzkiste gelegt. Aber Madame la Duchesse und ihre Entourage waren gerade rechtzeitig erschienen und hatten es unterbunden. »Zu Lebzeiten Christus nachzueifern ist schön und gut, aber mein Cousin ist jetzt im Himmel, und nichts hindert mich daran, seine sterblichen Überreste mit gebührendem Respekt zu behandeln. Außerdem muss ich ihn den ganzen Weg bis nach Hause begleiten, und ich werde den Sarg gut abdichten lassen.« Und sie hatte einen so schweren Sarg in das Krankenzimmer bringen lassen, dass es vier Männer gebraucht hatte, um ihn zu heben. Einen Sarg, der innen mit Blei verkleidet und besser gepolstert war als die meisten Betten, auf denen Höflinge in Versailles schliefen. Und er war so raffiniert gebaut, dass nicht einmal die Sargträger, die ihn und seinen Inhalt auf die Straße hinaustrugen und auf eine mit Blumen bestreute Geschützlafette stellten, vermutet hätten, dass er nicht nur nicht abgedichtet war, sondern dass sich entlang des gesamten Randes, wo der Deckel an den Seitenwänden überstand, Belüftungsschlitze befanden.

    Nun schwenkte die d’Oyonnax ein Fläschchen mit Riechsalz unter der Nase ihres Cousins hin und her. Er versuchte, es wegzuschieben, aber seine Arme waren kraftlos und von den schwellenden Polstern an seinem Körper festgeklemmt. Schließlich setzte er sich auf bzw. versuchte es, scheiterte und bereute es, alles im gleichen Moment. Die Kontraktion seiner Bauchmuskeln hatte Auswirkungen, die bis zu seiner Oberschenkelwunde reichten. Der Schmerz musste fürchterlich gewesen sein, denn er riss ihn gründlicher aus seiner Benommenheit als das Riechsalz. Es gelang ihm, einen Ellbogen anzuwinkeln, und die d’Oyonnax griff in den Sarg und ordnete die Polster so an, dass sie seinen Oberkörper stützten. Da endlich konnte er sich entspannen und seine Umgebung mustern. Aus den satinbespannten Tiefen des Sarges hätte er es nicht sehen können, aber die Lafette mit ihm und dem Sarg war den Mittelgang einer ausgebrannten Kirche hinaufgezogen worden. Die Diener der d’Oyonnax hatten den Sarg hochgehoben und quer auf den Altar gestellt, eine Granitplatte, deren sämtlicher Schmuck verbrannt, verwittert, zerfressen oder gestohlen worden war. Die Steinwände der

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