Confusion
die geographische Breite. Entlang bestimmter Breitenkreise brauchten sie sich keine Sorgen zu machen, da es (den Dokumenten zufolge) in diesem Teil der Welt keine Riffe oder Inseln gab. Entlang anderer Breitenkreise dagegen waren Gefahrenpunkte entdeckt worden, und so änderte sich immer, wenn man feststellte, dass die Minerva sich in solchen Breiten befand, die Stimmung auf dem Schiff, Segel wurden gerefft, weitere Matrosen in den Ausguck geschickt und Lotungen vorgenommen. Dabei konnte es durchaus sein, dass sie sich hundert Seemeilen genau östlich oder genau westlich der fraglichen Gefahr befanden; da sie keine Ahnung von ihrem jeweiligen Längengrad hatten, konnten sie es einfach nicht sagen. Da die Reise von Japan nach Manila von Norden nach Süden verlief, änderte sich alle paar Augenblicke sowohl ihr Breitengrad als auch der Grad ihrer Besorgnis.
Die Hauptgefahren neben Riffen und Inseln stellten Taifune und das Reich der Seeräuber dar, die Formosa einige Jahre zuvor den Holländern entrissen hatten und durch deren Gewässer sie segeln mussten, um Luzon zu erreichen. Auf dieser Reise schlugen beide Gefahren am selben Tag zu: Seeräuber sichteten sie und gingen auf einen Abfangkurs, doch bevor sie sich der Minerva nähern konnten, begann das Wetter sich auf eine Weise zu ändern, die einen aufkommenden Taifun vermuten ließ. Die Seeräuber brachen die Verfolgung ab und richteten ihre Energien aufs Überleben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Minerva bereits mehrere solcher Stürme heil überstanden, und ihre Offiziere und Besatzungsmitglieder wussten, was zu tun war; van Hoek konnte fundierte Vermutungen darüber anstellen, wie die Windrichtung im Laufe der nächsten zwei Tage wechseln und die Windstärke sich je nach ihrer Entfernung vom Zentrum des Taifuns verändern würde. Indem er ein paar Sturmsegel setzte und die Ruderpinne selbst bediente, konnte er verhindern, dass sie auf die Insel Formosa getrieben wurden. Stattdessen warf der Taifun sie nach Süden und Osten in die Philippinensee, ein tiefes Meer ohne Hindernisse. Später,
als das Wetter aufklarte und sie die Sonne wieder beobachten konnten, suchten sie sich eine bestimmte Breite (19° 45’ N) und folgten diesem Breitenkreis zweihundert Meilen gen Westen, bis sie die Straße von Balintang passiert hatten, die ein paar Gruppen kleiner Inseln nördlich von Luzon voneinander trennte. Nachdem sie sich dann gen Süden gewandt hatten, bewegten sie sich mit großer Umsicht vorwärts, bis sie die Hügel und Landzungen von Ilocos – der nordwestlichen Ecke von Luzon – gesichtet hatten.
In dem Augenblick änderte sich der Charakter der Reise. Dreihundert Seemeilen trennten sie noch von der Landspitze Mariveles am Eingang zur Bucht von Manila, und sie würden nur noch an der Küste entlangsegeln, was bedeutete, dass sie mit schwachen, unbeständigen Winden kämpfen, regelmäßig Lotungen vornehmen und nachts vor Anker gehen mussten, damit sie nicht im Dunkel auf irgendein unsichtbares Hindernis aufliefen. An manchen Tagen kamen sie aufgrund ungünstiger Winde überhaupt nicht vorwärts – tagsüber feilschten sie mit Eingeborenen um frisches Obst und Fleisch, das auf langen Booten mit zwei Auslegern zu ihnen gebracht wurde, und nachts patrouillierten sie mit geladenen Donnerbüchsen über die Decks der Minerva , denn sie rechneten damit, dass dieselben Einheimischen sich in denselben Booten herausstahlen und mit Messern zwischen den Zähnen über die Dollborde kletterten.
Wie dem auch sei, zehn Tage einer derartigen Reise brachten sie eines späten Nachmittags an die Landspitze Mariveles, wo mehrere Felsen wie Dolche aus der Brandung ragten.Von der Garnison auf der nahe gelegenen Insel Corregidor aus wurde die Minerva bei Sonnenuntergang gesichtet, woraufhin man dort Feuer entzündete, um zu verhindern, dass sie auf Grund lief. Indem er mithilfe dieser Feuer triangulierte, konnte von Hoek die Südküste der Insel geschickt umfahren und in der Bucht dort vor Anker gehen. Am nächsten Morgen kam der die Garnison befehligende spanische Leutnant zur See zu einem einstündigen Besuch auf einem Langboot herausgefahren; sie kannten ihn gut, war die Minerva doch auf ihren Reisen im Dreieck zwischen Manila, Macao und Queena-Kotah ungefähr ein Dutzend Mal hier vorbeigekommen. Er erzählte ihnen die neuesten Witze und Tratschgeschichten aus Manila, und sie gaben ihm einige Päckchen Gewürze und ein paar billige Schmuckstücke, die sie in Japan erstanden
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